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Zeitatter Friedrichs des Großen 1740—1789.
auch seinem Herzen die Begeisterung treu. „Und hätte ich tausend Leben,
ich würde dem Vaterland alle mit Vergnügen opfern": das Wort gilt
von dem Greise ebenso wie vom Jüngling. Der Zug des Frohsinns
aber und der Lebensfreude schwand aus seinem Herzen ebenso wie aus
seinem Gesicht und machte dem der Strenge, des Tadels und der
Bitterkeit darüber Platz, daß wegen der Unzulänglichkeit der menschlichen
Natur die Erfüllung doch weit hinter dem Wollen zurückbleibt.
§ 170. Friedrichs Bedeutung für Deutschland. 1. Nicht mit
Unrecht steht der Name Friedrichs des,Großen auch über der
deutschen Geschichte von 1740 bis 178EP War doch in die ent¬
ferntesten Gegenden das Bildnis des „Königs" gedrungen, der den
Fremdlingen ihren Übermut heimgezahlt, der sich sieben Jahre mit schier
unglaublicher Tapferkeit fast mit der ganzen Welt herumgeschlagen hatte,
der seine Bürger und Bauern in Schutz nahm gegen die Übergriffe der
Beamten, sich mit dem geringsten von ihnen unterhielt und in einfacher
„Kleidung umherging wie einer ihresgleichen. So richtete sich atvfeufeT”
starken Persönlichkeit das deutsche Volk wieder auf aus seiner
gedrückten und demütigen Stellung von den Zeiten des Dreißig¬
jährigen Krieges her (S. 149). Es bekam wieder Nationalstolz, /
und dieser trieb es dazu, dem Sieger von Roßbach zu folgen und auch
geistig, in Sprache und Lebensweise, Kunst und Litteratur, die unnatür¬
liche, gekünstelte Art der Franzosen aus dem Lande zu weisen.
2. Voran gingen die Dichter und Denker. Sie wiesen zurück
auf die großen Dichter der Griechen, die eine zweite Renaissance (S. 81)
erlebten, und der Engländer. So sang Klopstock nach englischem Vor¬
bild in seinem Messias „der sündigen Menschen Erlösung" und begeisterte
Jf durch seine Freundschaftslieder. Lessing, der eigentliche Befreier deutschen
Geistes von den französischen Fesseln, trat in die Fußstapfen eines Kleist
/6? und Gleim (S. Ißt) und verherrlichte in seiner „Minna von Barnhelm"
den preußischen Offizier, während der einzige Vertreter der französischen
Nation, der in diesem Stücke auftritt, der Glücksritter Riccaut ist. Die
deutsche Sprache, deren Steifheit Friedrich den Großen abgestoßen hatte,
wurde gelenkiger durch die Kunst Wielands mit seinem formschönen
„Oberon", und über Herder hinüber war es jetzt nur noch ein Schritt
Schiller und Goethe, der dann vollends „die deutsche Poesie aus
^welschen Taxushecken zum freien Dichterwalde führte".*
3. Ganz ähnlich mahnte in der Bildhauerei Winckelmann
durch Schrift und Beispiel zum Studium der alten Bildwerke auf
italischem Boden, und seiner Mahnung folgend, schuf Thorwaldsen,
allerdings ein Kopenhager, seine herrlichen Marmorwerke, die ein ganzes
Museum füllen, während Schinkel, der den Verfall des unfertigen
* So sagt Geibel in betn Gedichte „Sanssonci".