Full text: Erzählungen aus der neuen Geschichte (Theil 2)

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der König mit der königlichen Familie. In der Mitte des 
Marsfeldes erhob sich der Altar des Vaterlandes, die- 
fem gegenüber eine Gallerie, auf welcher die Nationalver- 
sammlung und der König platznahmen. Tallehrand, 
Bischof von Autun, hielt ein Hochamt und segnete die Fah- 
nen des Departements ein; darauf schwuren Nationalver¬ 
sammlung, Nationalgarden, der König und die Abgeordneten 
der ganzen Nation Gehorsam dem Gesetze. Endlich fiel der 
Donner der Geschütze mit dem Trommelwirbel und dem Tusch 
der Musik ein; freudetrunken stürzten sich alle in die Arme, 
und zum letztenmal schien es, als ob ein gemeinsames Band 
König und Volk wie eine große Familie vereinigen sollte. 
Doch bald zeigte es sich, wie wenig Festigkeit und Dauer 
das neugeschlossene Band gewährte. Die Jakobiner gingen 
in ihren Gewaltstreichen und Schmähungen gegen die könig- 
liche Familie immer weiter und beschränkten sogar deren per- 
sönliche Freiheit. Als Ludwig im April 1791 mit den 
Seinigen das Osterfest in St. Cloud feiern wollte, umlagerte 
der Pöbel seinen Wagen und hinderte die Abfahrt. Die 
Nationalgarde leistete ihrem Kommandanten Lafahette keinen 
Gehorsam, und der König mußte, nachdem der Unfug über 
eine Stunde gedauert hatte, wieder in sein Schloß zurück- 
fahren. Lafayette legte aus Verdruß über den Ungehorsam 
der Nationalgarde das Kommando nieder. Der König konnte 
sich nur als einen Gefangenen betrachten und faßte endlich 
den Entschluß, sich durch die Flucht ins Ausland zu befreien 
(Juni 1791). Der beste Erfolg schien anfangs das Unter- 
nehmen zu begünstigen und am Abend des 22. Juni kam 
die königliche Familie in St. Menehould an. Hier beging 
der König die Unvorsichtigkeit, _ aus dem Wagen heraus zu 
sprechen, und wurde an der Ähnlichkeit seines Gesichts mit 
dem Bildnisse auf den Assignaten von dem Postmeister 
Drouet erkannt. Dieser jagt sogleich auf Umwegen nach 
Varennes, wo nach einiger Zeit auch die Reisenden ankommen. 
Aber schon hat die Sturmglocke das Volk in Bewegung ge- 
setzt, der königliche Wagen ward angehalten und die Reisen- 
den müssen aussteigen. Anfangs leugnet Ludwig, daß er 
der König sei, aber von mehreren erkannt, ruft er endlich 
aus: „Ja, ich bin euer König, ich fliehe vor den Dolchen 
und Bajonetten der Hauptstadt und suche in der Provinz
	        
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