Full text: Erzählungen aus der neuen Geschichte (Theil 2)

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II. Familie und Heimat. 
neue Hemden sorgen;" „Ihr braucht auch ein neues Röcklein," sagte er 
zu einem andern; „Eures kann noch gewendet und ausgebessert werden," 
zu einem dritten, und so zu allen; und augenblicklich wurde zugeschnitten, 
und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungs¬ 
stücken für seine werten rheinländischen Freunde. In wenigen Tagen 
waren alle neu oder anständig ausgestattet. 
Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals 
fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die Rheinländer: „Herr 
Landsmann, verrechnet Euch nicht! ein Kriegsgefangener bringt keine 
Münze mit; so wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure großen 
Auslagen werden schadlos halten können, und wann." — Darauf 
erwiderte der Schneider: „Ich finde hinlängliche Entschädigung in dem 
Gefühl, Euch helfen zu können. Benutzt alles, was ich habe; seht mein 
Haus und meinen Garten als das Eurige an!" — so kurzweg und ab, 
wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt in Würde, die Güte 
hervorblickt; — denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Großmut, 
sondern auch die liebliche häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bis¬ 
weilen dem Herzen königliche Sprüche ein. — Jetzt führte er sie, freudig 
wie ein Kind, in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte 
Staat mit ihnen. 
Hier ist nicht Raum genug, alles Gute zu rühmen, das er seinen 
Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es; 
jeden Tag fand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der 
Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien an¬ 
genehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder 
Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen auch in 
Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas 
früher, weil dort die Uhren anders gehen; kam eine frohe Nachricht von 
dem Vorrücken und den Siegen der hohen Verbündeten in Deutschland 
an, der Schneider war der erste, der sie wußte und seinen Kindern, — 
er nannte sie nur noch seine Kinder, — mit Freudentränen zubrachte, 
darum daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung 
der Gefangenen aus dem Vaterlande ankam, war ihre erste Sorge, ihrem 
Wohltäter seine Allslagen zu vergüten. „Kinder," sagte er, „verbittert 
mir meine Freude nicht!" — „Vater Egetmaier," sagten sie, „tut unserm 
Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein eine kleine 
Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben, rurd um das Geld wieder zu 
ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen 
war. — Das gute Geld war zu einem andern Gebrauche zu bestimmen, 
aber man kann nicht an alles denken; denn als endlich die Stunde der 
Erlösung schlug, da gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere 
Schmerz der Trennung und zum bitteren Schmerze die — Not; denn
	        
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