Full text: Erzählungen für den ersten Geschichtsunterricht

1. Herakles. 
Herakles am Scheidewege. — Herakles, der stärkste aller grie- 
chischen Helden, bewies schon in zartester Jugend seinen Mut und seine 
Kraft. Als er einst mit seinem kleinen Bruder in einem Schilde lag, der 
ihnen als Wiege diente, kamen plötzlich zwei scheußliche Schlangen in das 
Zimmer und wollten sie erwürgen. Sein Brüderchen schrie laut auf vor 
Angst, Herakles aber faßte mit seinen beiden kleinen Händchen die Schlangen 
und drückte ihnen so fest die Hälse zusammen, daß sie elend ersticken mußten. 
Als Jüngling weidete Herakles die Herden seines Vaters. Da hatte 
er in der Einsamkeit einen Traum. Er saß an einem Scheidewege und 
wußte nicht, welchen von beiden Wegen er einschlagen sollte. Da kamen 
zwei Frauen auf ihn zu. Die eine war leichtfertig und geputzt, die andere 
aber war ernst und einfach. Die erste sprach zu ihm: „Ich bin das Ver- 
gnügen, meine Feinde zwar nennen mich das Laster. Wenn du mir folgst, 
so will ich dich einen angenehmen, blumenreichen Weg führen; Mühe und 
Anstrengung wirst du nicht kennen; Lust und Freude aber werden dich auf 
Schritt und Tritt begleiten." Die andere aber sprach bescheiden: „Ich 
bin die Tugend. Wenn du mir folgst, so wird dein Weg zwar schwer 
und dornenvoll sein; viele Mühen und Anstrengungen mußt du erdulden; 
am Ende deines Weges aber werden dich die Götter mit Ruhm und Ehre 
reich belohnen. Folgst du aber jener, so wird dein blumiger Pfad dich 
in einen Sumpf und Abgrund führen, in den Abgrund des Lasters." Als 
Herakles erwachte, beschloß er, sein ganzes Leben hindurch den Weg der 
Tugend zu wandeln. 
Was die Tugend vorhergesagt hatte, ging bald in Erfüllung. Zahlreich 
und schwer waren die Heldentaten, die Herakles in seinem späteren Leben 
zu verrichten hatte. Am berühmtesten sind die sogenannten zwölf Arbeiten 
des Herakles. Einige davon sind: 
Der nemeische Löwe. — In dem Tale von Nemea hauste ein 
furchtbarer Löwe, der durch seine blutigen Räubereien die ganze Gegend 
in Schrecken setzte. Viele waren schon ausgezogen, das Untier zu erlegen, 
aber keiner vermochte etwas gegen dasselbe auszurichten. Da beschloß 
Herakles, der Retter des bedrängten Landes zu werden. Er fand das 
Tier im dichten Walde, noch blutig von den zerrissenen Tieren und Men-
	        
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