214 $Mt-e Geschichte.
deS Staates tief erschütterten. Mit glänzenden Witz und Spott verfolgten
diese Männer die Kirche und ihre Diener, und die anziehende, geschmack-
volle Schreibart eröffneten ihren Schriften den Weg zu den gebildeten Stän-
den. Bald gehörte es in Frankreich zum guten Ton, über Christenthum
und christliche Kirche zu spotten, und es galt als ein Vorrecht der Gebil-
beten, weder an Gott, noch an sein Wort zu glauben. , Wie diese neue
Lehre bcs Unglaubens aus der Sittenlosigkeit deS französischen Leichtsinns
hervorgegangen war, so diente sie nun auch wieder, die Zuchtlosigkeit deS
Lebens zu befördern. Mit dem Abfall von dem lebendigen Gott war aber
nothwendig auch die Auflösung des Staates verbunden. Dazu hatten
MonteS- Männer, wie Montesquieu, d'A lembert, Diderot, in ihren Schrift
quieu, ten Untersuchungen Über die Zweckmäßigkeit der bestehenden Staatsverfassung
b uni) "^cr Einführung einer besseren veranlaßt, und der gesunkene Zustand
1 £V0' ber damaligen Regierung, die drückende Schuldenlast bes Staates und die
grenzenlose Verschwendung des Hofes begünstigten die Theilnahme, welche
solche Untersuchungen bei dem Volke fanden. Der Staat litt an alten ver-
jährten Mißbräuchen. So hatte der Adel bie einträglichsten Stellen, er
und bie Geistlichkeit genossen viele Vorrechte, während der dritte Stand
(Bürger unb Bauer) für nichts geachtet würbe. Daburch entwickelte sich
bei ben unteren Ständen Haß unb Erbitterung gegen bie beiden oberen
und gegen das Königthum. Dazu kam, daß viele Franzosen an dem Frei-
heitskampfe der Nordamerikaner Theil genommen hatten, bie nun in ihr
Vaterland zurückkehrten unb Vieler Herzen mit bem Verlangen nach glei-
chen Zuständen entzündeten
Mit aufrichtigem Jubel hatte zwar im Jahre 1774 das französische
Ludwig Volk den Regierungsantritt Ludwig des XVI. begrüßt, der, ein Enkel Lud-
i77~4VI' wig des XV., im Alter von 20 Jahren ben Thron bestieg. Er war ein from-
~ ' mer, gottesfürchtiger Mann, voll tiefen Abscheues gegen bas Leben und Treiben
des Hofes, aber zu gutmüthig unb schwach, um in so brohenber Zeit baS
Staatsschiff zu lenken unb ben herannahenden Sturm zu beschwören. Er
hatte den besten Willen, der Roth des Landes abzuhelfen unb führte bas
einfachste Leben, um feinen hartbedrängten Unterthanen die Steuern zu
vermindern; aber nicht einmal ber Verschwendung bes Hofes vermochte er
ein Ziel zu setzen. Endlich ließ sich der König durch den Finanzminister
Necker bewegen, die Neichsstände zu berufen, die seit 1614 (seit Ludwig
dem XIII.) nicht versammelt gewesen waren. Vom Adel kamen 300 Ab¬
geordnete und eben so viele von der Geistlichkeit; vom Bürgerstande erschien
die doppelte Anzahl. Am 5. Mai 1789 wurde die Versammlung der
Reichs- Reichs stän de zu Versailles eröffnet.
1789 Jetzt erhob sich die Frage, ob jeder Stand, wie es früher gewesen war,
für sich allein, oder ob alle drei Stände gemeinschaftlich berathen und nach
Köpfen abstimmen sollten. Im ersten Falle half dem dritten Stande die dop¬
pelte Zahl feiner Abgeordneten nichts und es war vorauszusehen, daß eine
Abstellung der vielfachen Mißbräuche in Regierung und Verwaltung nicht er¬
reicht würde. Da aber dennoch Adel und Geistlichkeit bei dem alten Verfah¬
ren bleiben wollten, fo trennten sich endlich die bürgerlichen Abgeordneten, an
die sich viele Adelige und Geistliche anschlössen, und erklärten sich (17. Juni)
zur konftituirenden (verfassunggebenden) Nationalversammlung.
Vergl. Kursus 3. S. 239—243: Ursachen der französischen Nevolution.