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Die Franken bis zum Untergange der Merowinger.
Die maßlose Frechheit und Überhebung des neuen Adels, der sich
aus den hohen Königsbeamten gebildet hatte, könnte nicht deutlicher hervor¬
treten, als in der ungeschminkten Erzählung unseres Gregor. Man bedenke
nur: diese austrasischen Großen führen solche rohe Sprache in fremdem
Lande, einem Könige gegenüber, der von ihnen ganz unabhängig ist; mit
welcher Anmaßung werden sie erst den jungen, ganz in ihre Gewalt ge¬
gebenen Childeberl behandelt haben! Aber wie unköniglich handelt auch
zuletzt der gute König!
Endlich gelang es übrigens doch dem Könige, feinen Neffen Childe-
bert ganz für sich zu gewinnen und ihn von den bösen Absichten Guntram-
Bosos, Gundowalds und ihrer Parteigänger zu überzeugen. In feierlicher
Versammlung gab er dem Fünfzehnjährigen feine Königslanze in die Hand
und sprach zu ihm: „Dies zum Zeichen, daß ich dir mein ganzes Reich
übergebe. Kraft dessen ziehe nun aus und laß alle meine Städte dir
huldigen, wie Deine eigenen, damit sie deiner Herrschaft und deinem Ge¬
bote Unterthan seien. Denn durch unsrer Sünden Schuld blieb nichts
von unsrer Sippe übrig als du allein, meines Bruders Kind. Du also
sollst mir als Erbe in meinem ganzen Reiche folgen und kein anderer."
Darauf entließ er das Gefolge, den Knaben aber nahm er beiseite und
redete mit ihm im geheimen, nachdem er ihn heilig beschworen hatte, nie¬
mand ihr vertrautes Gespräch zu verraten. Dann sagte er ihm, welche
Männer er zu Ratgebern haben und welche er seines Umgangs nicht wür¬
digen, wem er trauen und vor wem er sich hüten, wen er mit feiner
Gunst beehren und wen er des Amtes entsetzen solle; besonders aber unter¬
sagte er ihm, den Bischof Egidius von Reims fürderhin in feiner Nähe zu
dulden, denn dieser habe ihm selbst und Childeberl schon oft die Treue
gebrochen. Darauf wurde ein öffentliches Mahl gehalten, zu dem das
ganze waffenfähige Volk erschienen war. Da redete König Guntram vor
dem ganzen Volksheere also: „Sehet, ihr Männer, was für ein stattlicher
Mann mein Sohn Childebert schon geworden ist! Sehet es und hütet
euch, ihn noch für ein Knäblein zu halten! Lasset jetzt eure Verkehrtheiten
und Anmaßungen. Denn er ist euer König, dem ihr dienen sollt." Solches
und Ähnliches redete Guntram zu wiederholten Malen vor dem Volke;
und sie schmausten daselbst drei Tage lang, waren guter Dinge und be¬
schenkten einander mit vielen Gaben, dann schieden sie in Frieden.
So hatte der alte König einen großen Erfolg errungen. Mit klarem
Blick erkannte er, daß nicht der junge Neffe fein wahrer Feind gewesen
war, sondern jene übermütige Adelspartei, an deren Spitze Guntram-Boso,
Egidius und deren Freunde standen. Jetzt hatte er durch Klugheit und
herzgewinnendes Wohlwollen dem irregeleiteten und geknechteten Jüngling
die Augen geöffnet, und da er die Volksmasse ebenso wie einen großen