Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

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Indem wir Frankreich, von dessen Initiative allein jede bisherige Beunruhigung 
Europas ausgegangen ist, das Ergreifen der Offensive erschweren, handeln wir 
zugleich im europäischen Interesse, welches das des Friedens ist. Von Deutsch- 
land ist keine Störung des europäischen Friedens zu befürchten; nachdem uns 
der Krieg, dem wir mit Sorgfalt und mit Überwindung unseres durch Frank- 
reich ohne Unterlaß herausgeforderten nationalen Selbstgefühls vier Jahre lang 
aus dem Wege gegangen sind, trotz unserer Friedensliebe aufgezwungen worden 
ist, wollen wir zukünftige Sicherheit als den Preis der gewaltigen Anstrengungen 
fordern, die wir zu unserer Verteidigung haben machen müssen. Niemand wird 
uns Mangel an Mäßigung Vorwersen können, wenn wir diese gerechte und billige 
Forderung festhalten. 
Euere . . . bitte ich, sich von diesen Gedanken zu durchdringen und dieselben 
in Ihren Besprechungen mit zur Geltung zu bringen. b Bismarck 
60. 
Die Belagerung von Paris. 
Quelle: Brief Moltkes an seinen Bruder Adolf vom 22. Dezember 1870. 
Fundort: I. Schmieder, Quellen zur QSefchichte. Leipzig 1912. Teil 2. S. 158 und 159. 
Die allgemeine Sehnsucht nach Beendigung dieses furchtbaren Krieges läßt in 
der Heimat vergessen, daß er erst fünf Monate dauert; man hofft alles von einem 
Bombardement von Paris. Daß dieses nicht schon ersolgt, schreibt man zarter 
Rücksicht auf die Pariser oder gar dem Einfluß hoher Persönlichkeiten zu, während 
hier nur das militärisch Mögliche und Zweckmäßige ins Auge gefaßt wird. Von 
drei Seiten sind mir schon die Verse zugeschickt: 
„Guter Moltke gehst so stumm 
Immer um das Ding herum; 
Bester Moltke, sei nicht dumm; 
Mach doch endlich bnm, bum, bunt!" 
Was es heißt, eine Festung anzugreifen, zu deren Verteidigung eine Armee 
bereit steht, das hätte man doch aus Sewastopol lernen können. Sewastopol wurde 
erst Festung während des Angriffs; alles Material konnte zur See herangeschafft 
werden; die Vorbereitungen dauerten zehn Monate; der erste Sturm kostete 
10000, der zweite 13000 Menschen. 
Um Paris zu bombardieren, müssen wir erst die Forts haben. Es ist auch 
zur Anwendung dieses Zwangmittels nichts versäumt worden; ich erwarte aber 
weit mehr von dem langsam, aber sicher wirkenden Hunger. 
Wir wissen, daß seit Wochen in Paris nur noch einzelne Gaslaternen brennen, 
daß in den meisten Häusern trotz des ungewöhnlich frühen und strengen Winters 
ihres frevelhaften Angriffs, welche die französische Nation uns nie verzeihen wird. Wenn 
wir jetzt ohne Gebietsabtretung, ohne jede Kontribution, ohne irgendwelche Vorteile als 
den Ruhm unserer Waffen aus Frankreich abzögen, so würde doch derselbe Haß, dieselbe 
Rachsucht wegen der verletzten Eitelkeit zurückbleiben, und sie würde nur auf den Tag 
warten, wo sie hoffen dürfte, diese Gefühle mit Erfolg zur Tat zu machen . . . Nachdem 
man uns zu dem Kriege, dem wir widerstrebten, gezwungen hat, müssen wir dahin 
streben, für unsere Verteidigung gegen den nächsten Angriff bessere Bürgschaften als die 
ihres Wohlwollens zu gewinnen."
	        
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