Full text: [Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj] (Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj)

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reicher Bauernstand vermag solche imponierende Gestalten zu erzeugen 
und auszuprägen. Folgen wir jetzt seinen Schritten. 
Er springt mit seinem Klubenstock zwar behutsam, indes trotz seiner 
sechzig Jahre noch immer recht behende über ein paar Gräben und wendet 
sich zuerst nach seinen Weiden. Allerlei Jungvieh ist bereits draußen; aber 
seine dreijährigen Ochsen, die nächsten Herbst, so Gott will, ihm in Eng¬ 
land gute Guineen lösen sollen, und die Milchkühe und jungen Kälber 
sind noch im Stalle. Aber prächtiges Gras schon und ein herrliches Wetter 
— wenn das noch etwas anhält, denkt er, will er vor Maitag alles „hin¬ 
ausjagen". 
Er springt wieder über einige Gräben und kommt zu seinem Acker, 
wo sein Sohn säet und der Knecht gerade beim letzten Stück zu pflügen 
ist. — „Na, wo geit't jo dermit?" fragt er. „Got, Herr, dat Land ward 
fein," antwortet freundlich und kurz der blonde, kräftige Knecht, ohne auf¬ 
zuhalten, „vor Middag krieg ickt rum." — „Paß man got op!" — „Ja, 
Herr!" 
Jetzt redet er mit seinem Sohne, der eben das Stück voll gesäet hat 
und sich nun kräftig und gewandt auf eins der Pferde schwingt, die vor 
die Egge gespannt sind. Fort geht's wieder, und der Junge mit der zwei¬ 
ten Egge hinterdrein. 
Lange schaut der Alte dem Sohne zu. Er mag sich wohl still in der 
Seele freuen, zu sehen, wie der schlanke und kraftvolle Junge so nobel und 
stattlich zu Pferde sitzt; wie frisch und arbeitsfreudig er von früh bis spät 
drauf und dran ist, und wie er gepflügt und die Furchen gelegt hat, eine 
um nichts breiter als die andre und alle so schnurgerade, daß man in Haar¬ 
breite eine Büchsenkugel an jeder hinschießen könnte, vor allem aber, wie 
brav und wacker er ist, welch ein Herz in ihm steckt. — Ja, das weiß er 
sicher, der wird dem uralten, unbefleckten Namen seiner Familie keine 
Schande machen. — 
„Na, ade! Kinners, seht to, dat jy't got kriegt," ruft er zum Abschiede. 
„Ade, Herr!" ruft der Großknecht zurück. So verläßt er seinen Acker, sich 
wieder dem Dorfe zuwendend. 
6. Aber nach Hause geht's noch nicht gleich. Zuvor wird noch ein 
Stündchen im Wirtshause verplaudert und ein „Schiedammer" oder ein 
Magenbitterer zur Erhöhung des Appetits genossen. Da kommt denn 
gleich die Rede auf Wettermutmaßungen, auf den Stand des Winterkorns, 
auf die schöne Saatzeit, auf Land-, Vieh- und Kornpreise, auf die letzten 
Verordnungen des Amts oder der Wasserbaubehörde usw. Oft werden 
auch Händel abgeschlossen, so daß man diese Morgenzusammenkünfte recht 
wohl die Börsenstunde der Hausleute nennen könnte. Mit der heran¬ 
rückenden Mittagsstunde geht die Versammlung regelmäßig auseinander; 
denn zwölf Uhr ist in jedem Hause stehende Essenszeit.
	        
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