IV. Deutsche Kaisergeschichte. Drittes Kapitel. 191
gelegene erledigte Besitzungen an sich, und für diese Fürsten war also
das Reich seit Friedrichs II. oder doch Konrads IV. Tode eigentlich
ohne Oberhaupt, daher man die Zeit von 1254—1273 das Interregnum 1254—1288
oder Zwischenreich nennt. Und in der 2hat herrschte in dieser Zeit in
Deutschland Anarchie: es gab keinen persönlichen Halt, keine Autorität,
dagegen verzehrende Fehden der Fürsten und Raubritter; es war die
„kaiserlose, die schreckliche Zeit." In Böhmen erhob sich das slawische
Geschlecht Ottokars, brachte Oesterreich und die Nachbarlande an sich und
gewann eine Stellung, die wohl den deutschen Interessen im Osten ge-
sährlich erscheinen konnte. Die deutsche Geschichte ist an einem Punkte
angelangt, wo die niederen Gewalten des Reiches, die Herzoge, Grafen
und Reichsritter, über die obere Gewalt, die kaiserliche, gesiegt haben,
und die Auflösung des Reiches ist in vollem Gange. Die alten
Volksherzogtümer und Gaugrafschaften sind aufgelöst und zersplittert,
und aus den Trümmern derselben sind selbständige Territorien:
Fürstentümer, Grafschaften, Herrschaften von Reichsrittern, geistliche
Stifter und Städte mit eigner Verwaltung entstanden; es gab über
100 weltliche und eben so viele geistliche Territorien, dazu mehr als
50 Reichsstädte. Mitten in solcher Verwirrung und Not, da „kein
Richter war auf Erdeu", erwachte das Streben nach Selbsthülfe
besonders in den Städten: mehr als 60 meistens an den Rheinufern
belegene Städte, Maiuz und Worms an der Spitze, traten zum Schutze
ihres Handels und zu gemeinsamer Hülfe gegen Friedensbrecher zu-
fammenj; es sind die Ansänge des rheinischen Städtebundes, gegen
den viele Fürsten ergrimmten, den Wilhelm von Holland aber bestätigte.
Dahin hatte der Kampf der niederen Gewalten im Reiche, in denen
der altgermanische Trieb nach Absonderung und Selbständigkeit mächtig
war, geführt; die Einheit des deutschen Reiches ging darüber
und über dem Kampfe der Kaiser mit den Päpsten um die
Weltherrschaft zu Grunde, diese selber aber entsinkt der Hand der
Kaiser, denen kein stehendes Heer zur Verfügung stand, sondern deren
Krieger eben zugleich ihre Gegner im Reiche waren. Das Kaisertum
nach seiner höchsten mittelalterlichen Auffassung scheiterte an
seiner unlösbaren Aufgabe, insbesondere an dem Bestreben, das in
viele Territorien zersplitterte Italien gegenüber dem Papsttume zu be¬
haupten. Das ruhmreiche Hohenstaufengeschlecht geht darüber zu Grunde,
und der Blick des deutschen Patrioten kann nur mit Trauer und Weh-
mut sich wegwenden von diesem tragischen Ausgange der deutschen
Kaisergeschichte und ihrer Herrlichkeit; dagegen kann er mit Genug-
thuung weilen auf dem reichen Leben und der thätigen Kraft, die
in dieser traurigen Zeit überall in den einzelnen Kreisen des deutschen
Volkslebens sich regt. Es ist die Zeit des Aufblühens der deutschen
Städtemacht (2. Abt. IV), insbesondere der deutschen Hansa 1240.
(2. Abt. VIII), jenes Bundes norddeutscher Handelsstädte, der in Ver-
bindung mit norddeutschen Fürsten dem Vordringen Dänemarks über
die Eider und seiner erstrebten Beherrschung der Ostsee in einem Kampfe