Full text: Geschichte des Altertums (Teil 1)

60 Griechische Geschichte. Dritte Periode (431—362). 
5. Jh. aufkommende Sophistik stellt deswegen einen Fortschritt 
des philosophischen Denkens dar, weil sie auf den Menschen als 
wollendes und denkendes Subjekt ihr Nachdenken richtete und so 
eine Ethik und Logik anbahnte. Jedoch sie leugnete jede objektive 
Wahrheit („Der Mensch ist das Maß aller Dinge") und gelangte auf 
dem Wege der Begriffszergliederung und Dialektik zu höchst be¬ 
denklichen Folgerungen auf religiösem („Von den Göttern weiß ich 
nicht zu sagen, ob sie sind oder nicht sind") und sittlichem Gebiete 
(„der schwächeren Sache durch die Rede zum Siege verhelfen"). 
Zwar von demselben Boden wie die Sophistik ausgehend, in¬ 
sofern als auch er nach Verselbständigung des Einzelnen strebte 
und einer reflexionslosen Hingabe an Sitte, Gesetz und Glauben 
der Gesamtheit widersprach, auch insofern als er die dialektische 
Methode der Forschung bis zur höchsten Vollkommenheit aus¬ 
bildete und der Meister der entwickelnden Lehrmethode wurde, 
ist der Athener Sokrates der Überwinder der Sophistik und der Be¬ 
gründer einer neuen Epoche in der Geschichte des menschlichen 
Denkens geworden. In Gesetzestreue allen staatlichen Pflichten 
gewissenhaft nachkommend, dem Demagogentum wie der olig- 
archischen Tyrannei furchtlos gegenübertretend, erkannte er, von 
einem unwiderstehlichen Triebe die Wahrheit zu erforschen beseelt, 
als seine Lebensaufgabe, als den ihm von der Gottheit zugewiesenen 
Beruf, seine Mitmenschen zu belehren und zu bessern. Die Über¬ 
zeugung, daß er hierin recht tue, schöpfte er aus einer inneren, 
göttlichen Stimme, die er sein „Daimonion" nannte. In völliger 
Selbstlosigkeit, im Gegensatz zu den Sophisten, die sich ihre Lehr¬ 
vorträge teuer bezahlen ließen, ausgehend von dem Satze, daß 
er nichts wisse, ließ er sich mit jedem beliebigen in ein Gespräch 
ein und gelangte zunächst durch dialektische Prüfung zum Nach¬ 
weise der Wertlosigkeit des sophistischen Scheinwissens (seine 
Ironie), um dann zur Feststellung gesicherter ethischer Sätze zu 
kommen: Tugend ist Wissen und also lehrbar; niemand ist freiwillig, 
sondern aus Unwissenheit böse; alle Tugend ist eine; das Gute ist 
mit dem Nützlichen identisch; äußere Güter sind wertlos; das wahre 
Glück besteht in dem Rechthandeln und in dem Bewußtsein besser 
zu werden; die erste Bedingung der Tüchtigkeit ist die Erfüllung 
der Forderung des delphischen Gottes: Erkenne dich selbst.
	        
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