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2. Wie um Gudrun gekämpft ward.
Am Wülpensande, einem Werder an der Scheldemündung, erreichten sie
die Schiffe Hartmuts. Da hatten die Normannen Rast gemacht. Ein grimmer
Kampf begann. Heitel, Herwig, Ortwein, Wate und alle Helden kämpften
wie Löwen. Aber die Normannen wehrten sich gar tapfer, und ihr König
Ludwig, Hartmuts Vater, erschlug sogar den König Heitel. Bis zum späten
Abend wütete der Kampf. Es war so dunkel geworden, daß man Freund
und Feind nicht mehr unterscheiden konnte. Da begab man sich des Kampfes
bis zum andern Morgen. In der Nacht aber, während die Hegelinger
schliefen, machten sich die Normannen mit ihren Schiffen heimlich davon. Als
die Schläfer erwachten, erkannten sie zu spät die List der Feinde. Held Wate
blies in sein Heerhorn, um mit seinen Mannen den Flüchtlingen nachzusetzen
und ihnen Gudrun zu entreißen. Doch Held Frute hielt ihn davon ab und
sagte: „Was hilft's, daß wir nacheilen! Sie sind von hinnen wohl schon
30 Meilen!" Dann trugen sie die Verwundeten in die Schiffe und begruben
die Toten, Freund und Feind. Traurig zogen sie am sechsten Tage wieder
heim in ihr Land und verkündeten Frau Hilde das große Leid.
3. Wie Gudrun dienen muhte.
Indessen kamen die Normannen an die Gestade ihres Landes. Da ging
der König Ludwig zu Gudrun, zeigte ihr alle Schlösser und Burgen und
sagte zu ihr: „Wollt ihr, edle Jungfrau, Hartmut mimten, so ist das
alles euch zu Diensten angeboten." Stolz aber erwiderte Gudrun: „Ehe ich
Hartmut nähme, eher wählte ich den Tod!" Voll Zorn packte da der König
die Jungfrau bei den Haaren und warf sie über Bord ins Meer. Schnell
aber sprang ihr Hartmut nach, ergriff sie bei den blonden Zöpfen und zog
sie ins Schiff zurück. Bei ihrer Ankunft auf der Burg wurde sie von Ger¬
linde, Hartmuts Mutter, gar freundlich empfangen. Die dachte, das Herz
der schönen Königstochter ihrem Sohne durch Güte zu gewinnen. Als Gud-
rnn aber nach Monden ihren Sinn nicht änderte, da mißhandelte die alte
Königin die schöne Gudrun. Die eine Königskrone tragen sollte, mußte dienen
wie eine Magd: den Ofen heizen, das Brot backen, den Staub abkehren, die
Zimmer reinigen und die Gewänder der Königin bei Wind und Wetter, bei
Schnee und Kälte an den Strand tragen und dort waschen. Aber geduldig
ertrug sie ihr Geschick und harrte in Treue ihres Verlobten Herwig. Ost auch
fand sie Trost in ihrem Leid bei der edlen Ortrnn, der Schwester Hartmuts,
die sich liebevoll um sie bemühte, doch heimlich, damit Gerlinde nichts davon
erführe.
4. Wie Gudrun am Meere wusch.
Dreizehn Jahre waren vergangen. Da stand Gudrun, wie so oft schon,
mit ihrer Jugendfreundin Hildburg am Strande und wusch die Leiuwand der
Königin. Plötzlich nahte sich aus den Wellen ein schöner Vogel, der redete
sie an wie ein Mensch und sprach zu ihr: „Ich bin Gottes Bote, dir gesandt
zum Tröste. Heute sah ich die Deinen fahren auf des Meeres Wellen. Es