Full text: [Teil 1 = Kl. 8] (Teil 1 = Kl. 8)

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123. Die Bäume im Winterkleid. 
Von George Cabanis. 
Knecht Ruprecht. Herausg. von Ernst Brausewetter. 3. Band. Köln o. I. S. 18. 
ls Heinz und Hans das nächste Mal mit den Eltern hinauszogen, 
hatte der Herbststurm die Blätter von den Bäumen herabgerissen, 
und kahl und nackt streckten diese die Zweige und Äste in die Luft 
Da ließ Hans die blitzenden Äuglein an ihnen emporgehen, 
drehte flink das Köpfchen und rief: „Heinz, sieh doch nur! Vater, 
Mutter, seht doch einmal! Die Bäume haben ja gar keine Blätter 
mehr.“ 
„Das habe ich schon lange gesehen,“ brummte Heinz. Und die 
Mutter sprach: „Ja, ja, es wird Winter.“ Der Vater aber sagte: 
„Hört einmal zu! Für die Bäume ist das lange Jahr, was für uns 
ein einzelner Tag ist. Der Frühling ist den Bäumen, was uns der 
Morgen ist. Da wachen sie auf aus tiefem Schlaf, recken sich, 
strecken sich und ziehen ihre grünen Arbeitskittel an. Der Sommer 
ist der Tag. Da arbeiten sie und schaffen. Der Herbst ist der Abend. 
Da legen sie die bunten Festkleider an. Und jetzt wollen sie zu 
Bette gehen; sie haben die Kleider abgelegt, und bald werdet ihr 
sehen, wie sie das weiße Nachtkleid überziehen, und dann schlafen 
sie ein und schlummern den ganzen. Winter hindurch. Denn der 
Winter ist den Bäumen, was uns die Nacht ist.“ 
Heinz und Hans hatten stumm und aufmerksam zugehört, und 
gar bedachtsam schauten sie nach den kahlen Bäumen, wie wenn 
sie sehen wollten, ob diese nicht bald darangehen würden, die 
Nachthemdehen überzuziehen. 
Der Himmel hatte sich indessen ganz dicht mit schweren, grauen 
Wolken bezogen, und es sah alles so recht, recht müde aus, wie 
wenn Baum und Strauch wirklich schlafen gehen wollten. Da — 
mit einem Male — ging ein Flimmern durch die düstere Luft, und 
leise schwebten lichte, zarte Flocken und Flöckchen hernieder, 
immer mehr und mehr. 
Als die Kinder das merkten, hob Heinz langsam das Gesicht 
nach oben, während Hans zwei-, dreimal das Köpfchen hin und her 
warf und, in die Höhe springend, lautrief: „Es schneit, es schneit!“ 
Und die Kinder haschten nach den tanzenden Flocken und 
sprangen und jauchzten in heller Winterfreude. Nach kurzer Zeit 
hinein.
	        
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