Full text: Sieben Bücher deutscher Dichtungen

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neue Zeit. Das zweite klassische Zeitalter. 
£ob der Faulheit. 
Faulheit, jetzo will ich dir 
Auch ein kleines Loblied bringen. — 
O . . wie . . sau . . er wird es mir, 
Dich . . nach Würden . . zu besingen! 
Doch ich will mein bestes thun, 
Nach der Arbeit ist gut ruhn. 
Höchstes Gut! wer dich nur hat, 
Dessen ungestörtes Leben- 
Ach! . . ich gähn' . . ich . . werde malt. 
Nun . . so . . magst du . . mir's vergeben, 
Daß ich dich nicht singen kann; 
Du verhinderst mich ja dran. G. E.Lessing. 
Der kleine Gernegroß. 
Ein Männchen, das dem Zwergge¬ 
schlechte 
Kaum um drei Zoll entwachsen war, 
Durchgrübelte manch liebes Jahr, 
Wie es sein Maß verlängern möchte; 
Doch graute schon gemach sein Haar, 
Und nach zehntausend Sorgenstunden 
War noch kein Mittel aufgefunden. 
Auf einmal ließ ein Charlatan 
Durch Zeitungstrommelschlag verkünden: 
„Herbei ihr Lahmen, Tauben, Blinden! 
Ich bin der Arzt, der helfen kann! 
Das häßlichste Naturgebrechen 
Darf Heilung sich von mir versprechen." 
Husch! lief das Männchen zu ihm hin: 
„Herr Doktor, mir vergällt's mein Leben, 
Daß ich so klein geblieben bin. 
Sagt, könnt ihr mich für Goldgewinn 
Ein wenig aus dem Staub erheben?" 
„Warum nicht? Dazu weiß ich Rat!" 
Sprach jener; kommt nur morgen wieder; 
Indeß bereit ich euch ein Bad, 
Das streckt unfehlbar euch die Glieder. 
Bringt aber zehn Dukaten mit. 
Die noch kein Wucherer beschnitt! 
Der Kleine schlug auf seine Taschen, 
Sprang wie ein frohes Kind nach Haus 
Und stach vor Freuden eine Flasche 
Des köstlichen Burgunders aus. 
Er schritt im Traum der Nacht als Riese 
Stolz aus der Hoffnung Blumenwiese 
Mit Hahnenschritten auf und ab, 
Und ging mit hochgetrag'nem Scheitel 
Und Randdukaten in dem Beutel 
Des Morgens draus zum Aeskulap. 
In einer weiten Wanne rauchte 
Sogleich ein dunkler Kräutersee, 
Und das enthüllte Männlein tauchte 
Hinein der Glieder zarten Schnee. 
Drei Stunden mußt's ihm drin belieben. 
Und dabei ward es wie ein Zeug 
Gewalkt, geblirstet und gerieben 
Und durchgeknetet wie ein Teig. 
Doch Freuden sproßten aus den Leiden: 
Denn — wunderbar! — als sein Gebein 
Das Herrlein wollte wieder kleiden 
War ihm sein Röckchen viel zu klein. 
Bor Staunen außer sich gerathen 
Und von Entzücken übermannt, 
Zählt es dem Arzte mehr Dukaten, 
Als er bedungen in die Hand. 
Es sah nicht ein, daß in den Stunden, 
Da es im Bade Foltern litt, 
Ein Schneider, mit dem Schelm verbunden, 
Den kleinen Rock noch kleiner schnitt, 
Es jubelte, wie neugeboren, 
Im kurzen Wamms die Stadt durchhin 
Und schrie den Leuten in die Ohren: 
„Seht, seht, wie ich gewachsen bin!" 
A. F. E. Langbein. 
Das Singen. 
Des Menschen Singemeister waren 
Die Vögel schon im Paradies. 
Der Waldgesang der lust'gen Scharen 
Klang unserm Ahnherrn wundersüß. 
Das muß dir, dacht' er, auch gelingen; 
Versuchend traf er manchen Ton; 
Und so vererbte sich das Singen 
Vom Vater immer auf den Sohn. 
Wir dürfen uns der Kunst nicht 
schämen. 
Die uns ein freies Volk gelehrt, 
Das weder Haß, nochNeid, noch Grämen 
In seiner ew'gen Freude stört. 
Nur solchen heitern Seelen glücket 
Ein muntres Liedchen ohne Zwang; 
Denn selbst nicht jeden Vogel schmücket 
Der Liedergabe Himmelsklang. 
Des Waldes Fürst, der Aar, be¬ 
schenket, 
Trotz Sonnenflug, uns nicht mit Sang; 
Und alles Raubgeflügel denket 
Stockstill auf Nichts, als guten Fang.
	        
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