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eine Fahne, in der Linken eine Wage (das Zeichen des schwankenden Kriegsglückes) ge¬
tragen. Es war entweder zur Ehre Hermanns (Armins), des Retters der deutschen Frei¬
heit, oder des Kriegsgottes (Wodau) errichtet. Die Sachsen mußten sich unterwerfen uud
als Bürgschaft für die Haltung des Friedens und die Sicherheit der zu ihrer Bekehrung
zurückgelassenen Priester Geiseln stellen. Aber der Friede war nicht von langer Dauer.
Karl wurde nämlich alsbald nach Italien gerufen, wo er gegen den Longobardenkönig
kämpfen mußte. Während seiner Abwesenheit fielen die Sachsen wieder plündernd in ihre
Grenzländer, besonders in Hessen ein, wo sie alles mit Feuer und Schwert verwüsteten.
4 Blitzschnell eilte Karl aus Italien herbei, und bald kehrte alles zum früher
gelobten Gehorsam zurück. Auf einem Reichstage zu Paderborn versprachen die meisten
Großen des Sachsenvolkes, nachdem sie die Taufe empfangen hatten, fortan die fränkische
Oberhoheit anerkennen zu wollen. Nur Wittekind, ihr tapferster Herzog, war nicht er¬
schienen, und das bedeutete nichts Gutes. Er war zum Könige von Dänemark geflohen,
um bei günstiger Gelegenheit abermals loszuschlagen. Als Karl nun wieder aus Sachsen
abwesend sein mußte, entzündete jener von neuem die Flamme des Aufruhrs, weshalb
der König wieder zu neuen Feldzügen gegen die Sachsen sich genötigt sah. Karl glaubte,
die Sachsen seien so weit unterworfen, daß er sie zu"einem Kriegszuge gegen ein östlich
wohnendes slavisches Volk aufbieten könne. Doch nur zu bald sollte er erfahren, wie
sehr er sich in seinem Vertrauen auf die Treue der Sachsen getäuscht hatte. Verräterischer-
weise überfielen diese ein fränkisches Heer und vernichteten dasselbe fast gänzlich. Karl
aber nahm blutige Rache, indem er 4500 gefangene Sachsen enthaupten ließ. Diese harte
Strafe hatte jedoch nicht die Wirkung, welche Karl beabsichtigte. Vielmehr erhoben sich
die Sachsen zn einem verzweiflungsvollen Widerstände. Das ganze Volk war entschlossen,
seine Feinde zu verderben, es möge kosten, was es wolle. Der nun folgende Kampf endete
mit der vollständigen Niederlage der Sachsen.
5 Die Sage berichtet darüber folgendes: Als Wittekind am andern Ufer der Elbe
in der Nähe des fränkischen Heeres umherstreifte, ward er von Sehnsucht ergriffen, einmal
zn schauen, wie die Christen ihren vielgepriesenen Gott verehrten. Das Weihnachtsfest
kam heran. Da hüllte sich Wittekind in Bettlerkleider und schlich sich beim Hereinbrechen
des Morgenrots ins fränkische Lager. Unerkannt schritt er durch die Reihen der Krieger,
die sich zum Gottesdienste anschickten, und betrat die Kirche. Da wurden nicht Pferde noch
Rinder geopfert, sondern andächtig kniete Karl mit allen seinen Großen vor dem Altare,
das heilige Altarssakrament zu empfangen. Der Weihrauchduft wallte empor, und die
Gesänge der Priester priesen die geweihte Nacht, in welcher die Herrlichkeit des Heilandes
sich den Menschen offenbarte. Da wurde Wittekind tief ergriffen von der Herrlichkeit des
Gottesdienstes der Christen, leine Augen füllten sich mit Thränen, und stumm faltete er
die Hände. Es war ihm, als ob das Christuskind auf dem Arme der Jungfrau Maria
ihm winke und zu ihm spreche: „Komm her zu mir!" Er warf sich vor dem Altare
nieder auf die Knie, und als alle erstaunt und verwundert ihn umringten, sprach er: „Ich
bin Wittekind, der Sachsenherzog, gebt auch mir die Taufe, daß ich ein Christ werde, wie
ihr!" Seine Bitte wurde ihm gewährt, und Karl selbst wollte sein Pate sein. Wittekind
war von nun an ein treuer Bekenner des christlichen Glaubens. Er trug Sorge, daß die
christlichen Kirchen wieder ausgebaut wurden, die er früher als Heide zerstört, und wo cr¬
emst Götzenbilder aufgerichtet hatte, da sind von ihm christliche Kirchen errichtet worden.
Seine letzten Lebenstage verbrachte er zn Enger in Westfalen, und in der Kirche daselbst
liegt er begraben.
6 Zehnten = Abgaben, welche von Feld- und Gartenfrüchten, Vieh u. f. w. entrichtet
wurden und ursprünglich in dem zehnten Teile von dem Ertrage dieser Güter bestanden.