VIII. Naturkunde.
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wir nicht dem Klima oder dem Pflanzenwuchs, der doch auf beiden
Abhängen ziemlich gleichartig ist, sondern dem Gebirge selbst die Arten—
scheidung zuzuschreiben haben. Noch mehr weicht die Tierbevölkerung zu
beiden Seiten eines Gebirges voneinander ab, dessen Längenachse den
Breitenkreisen parallel ist. Dies gilt z. B. von den Pyrenäen, den Alpen,
dem Kaukasus und dem Altai; am schärfsten aber trennen die Riesenberge
des Himalaja die Tierwelt Indiens von der des mittleren Asiens, welche
beide fast aller Verwandtschaft entbehren. Selbstverständlich sind nicht die
Kammgipfelhöhen, sondern die Paßhöhen für die Größe solcher Gegensätze
maßgebend. Auch sind hohe Bergketten für Schnecken, Gliedertiere, Reptilien
und Säugetiere ein viel größeres Hindernis als für Vögel, ein größeres
für pflanzen- als für fleischfressende Tiere. Insbesondere hemmen Berg—
länder, welche zugleich Wasserscheiden sind, die Verbreitung der Wassertiere;
darum haben benachbarte Stromgebiete nicht selten eine wenig überein—
stimmende Fischwelt. So sind Flußaal und Lachs bezeichnend für das
Stromgebiet der Elbe, hingegen Wels, Huch und Hausen für das der Donau.
Nicht selten stellen sich größere Wasserfälle den aufwärtswandernden Fischen
als unüberwindliche Schranken gegenüber. Kleine Hindernisse werden von
Lachsen übersprungen, von Aalen umgangen. Doch vermögen auch diese
Tiere größere wasserlose Räume nicht zu überschreiten. Werden Ströme
regelmäßig miteinander verbunden, z. B. zur Zeit des Hochwassers, so ist
der Übergang der Fische in ein anderes Stromsystem am leichtesten möglich.
Aber auch Ebenen werden zu Schranken für die Verbreitung des Tier—
lebens, wenn sie Wüsten sind. Es bewohnen z. B. die zur Familie der
Hirsche gehörenden Arten nicht bloß die arktischen Gebiele und die der
gemäßigten Zone, sondern sind auch in den tropischen Waldländern heimisch,
denn ihr Gebiet erstreckt sich durch ganz Amerika und durch ganz Asien
Arabien ausgenommen); dennoch fehlen sie dem tropischen Waldlande Afrikas,
weil sie den zwischen Nord- und Südafrika liegenden Wüstengürtel nicht
durchstreifen konnten. Namentlich bildet die Wüste unüberschreitbare Schranken
für solche Tiere, welche zu ihrem Dasein der Flüsse bedürfen, wie für den
Viber, der Fischotter, die Wasserratte und das Capybara. Selbst kleinere
Tiere, welche sonst rastlose Begleiter des Menschen sind, bleiben zurück,
wenn dieser seinen Fuß in die Wüste setzt. So berichtet Rohlfs, daß kein
Floh in der Wüste vorkomme. Wo dieser verschwindet und plötzlich, wie
durch ein Wunder veranlaßt, davon absteht, dem Reisenden zu folgen,
beginnt die Sahara, d. h. die Gegend der absolut trockenen Lufl.
Aber auch die Steppe schon gebietet allen denjenigen Tieren Halt, welche
dem Baumleben streng angepaßt sind, z. B. den Affen und Lemuren, den
Eichhörnchen, den Opossums, den Baumkatzen und Faultieren. Hingegen
ist der Wald unzugänglich und daher eine Schranke für das Kamel, das
Zebra, die Giraffe und viele Antilopen. Selbst gewisse Vögel sind vom
Waldlande ausgeschlossen, so vor allem der Geier. Obwohl derselbe einen
hohen Grad von Flugfertigkeit besitzt, bewohnt er doch nur verhältnismäßig
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