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Der Handschuh.
schlägt mit dem Schweif
einen furchtbaren Reif
und recket die Zunge,
und im Kreise scheu
umgeht er den Leu,
grimmig schnurrend;
drauf streckt er sich murrend
zur Seite nieder.
Und der König winkt wie¬
der;
da speit das doppelt geöffnete
Haus
zwei Leoparden auf einmal
aus.
Die stürzen mit mutiger Kampf¬
begier
auf das Tigertier.
Das packt sie mit seinen grim¬
migen Tatzen,
und der Leu mit Gebrüll
richtet sich auf, da wird’s still;
und herum im Kreis,
von Mordsudit heiß,
lagern sich die greulichen Katzen.
Da fällt von des Altans1) Rand
ein Handschuh von schöner Hand
zwischen denTiger unddenLeu’n
mitten hinein.
Und zu Ritter Delorges, spottender Weis’,
wendet sich Fräulein Kunigund’:
„Herr Ritter, ist Eure Lieb’ so heiß,
wie Ihr mir’s schwört zu jeder Stund’,
ei, so hebt mir den Handschuh auf!“
Und der Ritter in schnellem Lauf
steigt hinab in den furchtbar'n Zwinger
mit festem Schritte,
und aus der Ungeheuer Mitte
nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.
Und mit Erstaunen und mit Grauen
sehen’s die Ritter und Edelfrauen,
und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
aber mit zärtlichem Liebesblick -—
er verheißt ihm sein nahes Glück —
empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
„Den Dank, Dame, begehr’ ich nicht!“
und verläßt sie zur selben Stunde.
Sämtliche Werke in sechzehn Bänden. Ausgabe von
Karl Goedecke. Stuttgart, J. G. Cotta, I, S. 220.
ß Vorsprung am Hause.