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Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
„Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglmh?
Ach! wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wclleuathmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Thau?"
Das Wasser rauscht', das Wasser
schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie saug zu ihm;
Da war's um ihn gescheh'n:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr geseh'n.
Goethe.
8. Der getreue Eckart.
O wären wir weiter, o wär' ich zu Haus!
Sie kommen. Da kommt schon der nächtliche Graus;
Sie sind's, die unholdigen Schwestern.
Sie streifen heran, sie finden uns hier,
Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,
Und lassen nur leer uns die Krüge.
So sprechen die Kinder und drücken sich schnell;
Da z igt sich vor ihnen ein alter Gesell:
„Nur stille, Kind! Kinderlein, stille!
Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd,
Und laßt ihr sie trinken, wie's Jeder behagt,
Dann sind sie euch hold, die Unholden."
Gesagt, so gescheh'n; und da naht sich der Graus
Und sieht so grau und so schattenhaft aus,
Doch schlürft es und schlampst es auf's beste.
Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer;
Nun saus't cs und braust es, das wüthige Heer
Jn's weite Gethal und Gebirge.
Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell,
Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:
„Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig!" —
„Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis auf's Blut." —
„Nein, keineswegs, Alles geht herrlich und gut,
Nur schweiget und horchet, wie Mäuslein.
Und der es euch anräth, und der es befiehlt,
Er ist cs, der gern mit den Kindelein spielt,
Der alte Getreue, der Eckart.
Vom Wundermann hat man euch immer erzählt,
Nur hat die Bestätigung Jedem gefehlt,
Die habt ihr nun köstlich in Hänven."
Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
Ein Jedes den Eltern, bescheiden genug,
Und harren der Schläg' und der Schelten.
Doch siche, man kostet: ein herrliches Bier!
Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier,
Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.
Das Wunder, cs dauert zum morgenden Tag;
Doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
Wie ist's mit den Krügen ergangen?