Mittel-Europa. — Deutschland. 165 
so hat es eine Zeit gegeben, wo die deutsche Herrschaft von der Eider bis zu den Abruzzen 
und von den Mündungen des Rhone bis an die Newa reichte, abgesehen davon, daß auch 
Ungarn, Polen und Dänemark vorübergehend die Lehnshoheit der deutschen Könige aner¬ 
kannten, daß das staufische Kaiserhaus 60 Jahre lang auch Neapel und Sieilien besaß, und 
daß der deutsche Kaiser Karl V. zugleich Herr von Spanien und Amerika war. Aber dieses 
gewaltige Reich war freilich niemals in dem modernen Sinne ein Staat, und während 
einzelne Kaiser durch glänzende persönliche Eigenschaften den deutschen Namen dem Auslande 
furchtbar machten, wußten andere nicht einmal im eigenen Lande ihr Ansehen geltend zu 
machen, bis am Ende nur noch der Name blieb. 
Verfassung. Von 843 an war Deutschland ein Erbkönigreich unter den Karolingern, 
bis es 911 durch die Wahl Konrad's I. von Franken zur Wahl Monarchie wurde. Es 
wählten damals die Herzoge von Sachsen, Bayern, Schwaben, Franken (diesseits 
des Rheins) und Lothringen (das Land, jenseits des Rheins, mit Ausnahme von Mainz, 
von Speier und Worms; dazu aber noch das diesseitige Friesland). Otto I. erwarb Italien 
und die Krone des römischen Kaisers, welche seitdem nur bei den deutschen Königen blieb, 
d. h. sofern sie damit in Rom gekrönt wurden; denn viele deutsche Könige (z.B. Konrad III., 
Konrad IV., Rudolf von Habsburg, Adolf von Nassau) sind nie Kaiser gewesen. Erst seit 
Maximilian I. sind die deutschen Könige schon durch die Wahl Kaiser. 
Als mit dem Ausgange des staufischen Hauses, das die Glanzperiode des deutschen 
Reiches bezeichnet (die großen Dichter Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogel- 
weide, Gottsried von Straßburg), die alten Herzogthümer sich in zahlreiche kleinere erbliche 
Lehne ausgelöst hatten, während in den eroberten slavischen Ländern neue mächtige Reichs- 
Mitglieder (die Markgrafen von Brandenburg und Meißen, die Herzoge von Oesterreich, 
die Könige von Böhmen) entstanden waren, wurde eine Regulirung der Ansprüche der 
Reichsfürsten auf das Stimmrecht bei der Kaiserwahl nothwendig. Dieselbe wurde 1356 
unter Karl IV. getroffen durch 
1) Die goldene Bulle, das erste deutsche Reichsgrundgesetz. Durch dasselbe wurde 
das Kursürsten-Kollegium festgestellt, d. h. es wurden den Kaiser zu füren (wählen) berechtigt 
drei geistliche und vier weltliche Fürsten: der Erzbischos von Mainz, Erzkanzler durch 
Germanien; der Erzbischos von Trier, Erzkanzler durch Gallien und das Königreich 
Arelat; der Erzbischos von Köln, Erzkanzler durch Italien; der König von Böhmen, 
Erzschenk; der Pfalz gras am Rhein, Erztruchfeß; der Herzog von Sachsen-Witten- 
berg, Erzmarschali; der Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer. 
Die Kur des Kurfürsten von der Pfalz kam 1623 an den Herzog von Bayern. Dafür 
erhielt der Pfalzgraf am Rhein im westfälischen Frieden die achte Kur, die indessen 
wiederum einging, als 1779 Pfalz und Bayern vereinigt wurden. Dafür rückte der um 
1692 zum neunten Kurfürsten ernannte Herzog von Braunschweig-Lüneburg (Hannover) 
d. H. R. R. Erzschatzmeister, in die achte Stelle. Zu Napoleon's Zeit, nach 1893, gab es 
sogar zehn Kurfürsten, nämlich an Stelle des Kölner und Trierer, noch die Kurfürsten von 
Salzburg (später Würzburg), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. 
2) Das zweite deutsche Reichsgrundgesetz ist der unter Maximilian I. 1495 
erlassene ewige Landfriede, wodurch die Gründung des Reichskammergerichts, des 
Reichshofrathes zu Wien und die Eintheilung in folgende 10 Kreise bewirkt wurde: 
der Schwäbische, der Bayerische, der Oesterreichifche, der Fränkische, der Bur- 
gundische, der Kurrheinische, der Oberrheinische, der Westfälische, der 
Niedersächsische (diesseits der Weser, Braunschweig, Holstein, Mecklenburg, Magdeburg 
und Halberstadt) und der Obersächsische (die nunmehr sogenannten sächsischen Länder, 
ferner Brandenburg und Pommern).
	        
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