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vielfach mißbrauchte Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zu 
ordnen und zu verwalten. 
Die Regierung hatte ihre Absicht erreicht und sich mit den 
nötigen Mitteln versehen, um den ultramontanen Angriffen und 
Übergriffen wirksam entgegentreten zu können. So gerechtfertigt 
indes die Maßregeln wider das herrschsüchtige und reichsfeindliche 
Rom waren, so zogen sie doch gar mancherlei bedauerliche Fol¬ 
gen nach sich. Der freisinnige Geist, welchen die ganze Ver¬ 
waltung des Kultusministers Falk atmete, sagte naturgemäß den 
Anhängern der strenggläubigen protestantischen Richtung sehr 
wenig zu, und eine ziemlich lebhafte Unzufriedenheit machte sich 
innerhalb der evangelischen Kirche bemerkbar. Man beklagte es 
schon, daß Falk eine Beseitigung der Schulregulative 
herbeiführte, welche einst unter dem Ministerium Raumer er¬ 
lassen worden waren, und an deren Stelle er die „Allgemei¬ 
nen Bestimmungen" vom 15. Oktober 1872 setzte, welche 
das Unterrichtsziel höher steckten und dabei gleichzeitig den re¬ 
ligiösen Lernstoff beschränkten. Noch schmerzlicher aber wurde 
es empfunden, daß die Schläge, die in dem Kampfe mit Rom 
fielen, teilweise auch die evangelische Geistlichkeit trafen, welche 
durch das Schnlaufsichtsgesetz und durch das Civilstandsgesetz 
eben so gut Einbuße an ihrem Ansehn erlitt wie der katholische 
Klerus. Um die eigene Kirche desto mehr innerlich zu kräftigen, 
verlieh ihr der König im September 1873 eine neue Syno¬ 
dalverfassung, welche den Laien das Recht gab, durch selbst¬ 
gewählte Vertreter an der Leitung der kirchlichen Angelegen¬ 
heiten sich zu beteiligen. Am schwersten lasteten indes die Fol¬ 
gen des Streites auf der katholischen Bevölkerung, die in ihrem 
religiösen Leben eine immer größere Schädigung erfuhr und 
deshalb nicht ungegründete Ursache zu steigender Mißstimmung 
hatte. Von den zwölf preußischen Bistümern waren zuletzt 
neun, von den Pfarreien und sonstigen geistlichen Stellen fast 
anderthalbtausend unbesetzt, so daß zwei Millionen Katholiken 
die geregelte Seelsorge entbehrten. Da starb im Februar 1878 
Papst Pius IX, und den apostolischen Stuhl bestieg Leo XIII, 
welcher den Ruf eines vergleichsweise friedliebenden Mannes 
genoß und auch wirklich bald mit dem Berliner Kabinett Unter¬ 
handlungen anknüpfte. Um ihm entgegen zu kommen, entließ 
der Kaiser im Sommer 1879 den Kultusminister Falk und be¬ 
rief auf diesen Posten den zu einer versöhnlicheren Politik ge¬ 
neigten Puttkamer. dem einige Zeit später der denselben 
Standpunkt einnehmende G o ß l e r folgte. Dann legte die Re¬ 
gierung im Frühjahr 1880 dem Landtage ein Gesetz vor, Wel¬ 
ches sie zu gewissen Milderungen in der Ausführung der ge¬ 
troffenen kirchlichen Bestimmungen ermächtigte, und dessen An-
	        
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