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20 soll Seuch' und Krankheit folgen dir."
Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz,
noch nimmer fühlt' er solchen Schmerz.
Sie hob ihn bleichend auf sein jDferd:
„Reit heim nun zu dein'm Fräulein wert!"
25 Und als er kam vor Dauses Tür,
seine Mutter zitternd stand dafür.
„Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich,
wie ist dein' Farbe blaß und bleich?" —
„Und sollt' sie nicht sein blaß und bleich?
30 Ich traf in Trlenkönigs Reich."
„Hör an, mein Sohn, so lieb und tränt,
was soll ich nun sagen deiner Braut?"
„Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund',
zu proben da mein Hferd und Hund."
35 Frühmorgen und als es Tag kaum war,
da kam die Braut mit der Hochzeitsschar.
Sie schenkten Ulet, sie schenkten wein:
„wo ist Herr ©luf, der Bräut'gam mein?"
„Herr ©ins, er ritt in Wald zur Stund',
HO er probt allda sein Hferd und Hund."
Die Braut hob ans den Scharlach rot,
da lag Herr ©lnf, und er war tot.
Joh. Gottfried Herder.
181. Oer Knabe im Moor.
{. © schaurig ist's, übers Moor zu gehn,
wenn es wimmelt vom Heiderauche,
sich wie Phantome die Dünste drehn,
und die Ranke häkelt am Strauche,
unter jedem Tritte ein ©uellchen springt,
wenn aus der Spalte es zischt und singt,
o schaurig ist's, übers Moor zu gehn,
wenn das Röhricht knistert im Hauche!
2. Fest hält die Fibel das zitternde Kind
und rennt, als ob man es jage;
hohl über die Fläche sauset der wind —
was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
der dem Meister die besten Torfe ver¬
zecht!
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
3. Dom Ufer starret Gestumpf hervor,
unheimlich nicket die Föhre,
der Knabe rennt, gespannt das ©hr,
durch Riesenhalme wie Speere;
und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
das ist die gebannte Spinnlenor',
die den Haspel dreht im Geröhre!
Deutsches Le-sebuch für Mittelschulen Teil III A
H. Dorcnt, voran, nur immer im Lauf,
voran, als woll' es ihn holen!
Dor seinem Fuße brodelt es auf,
es pfeift ihm unter den Sohlen
wie eine gespenstige Melodei;
das ist der Geigenmann ungetreu,
das ist der diebische Fiedler Knauf,
der den Hochzeitheller gestohlen!
5. Da birst das Moor, ein Seufzer geht
hervor aus der klaffenden Höhle;
weh, weh, da ruft die verdammte Mar-
g'ret:
„Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
seine bleichenden Knöchelchen fände spät
ein Gräber im Moorgeschwele.
6. Da mählich gründet der Boden sich,
und drüben, neben der Weide,
die Lampe flimmert so heimatlich,
der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moore zurück
nocb immer wirft er den scheuen Blick:
„Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
o schaurig war's in der Heide!"
Annette v. Drofte-Hülshoff.
1912. 21