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Schlosse waren gerührt, nur Gregor nicht, dessen Betragen eher einer
tyrannischen Wildheit und Grausamkeit, als einer apostolischen Ernst¬
haftigkeit gleichkam. Mit heißen Thränen bat Mathilde für den Büßen¬
den um Gnade, und Heinrich selbst verlangte, man solle ihm nur
wenigstens zur Rückkehr wieder die Thore öffnen. Am vierten Tage end¬
lich ließ der Papst ihn vor stch und erlösete ihn von dem Banne, jedoch
mit der Bedingung, daß er nicht eher die königliche Gewalt wieder aus¬
übe, als bis er selbst darüber werde entschieden haben. — Mit gerechter
Entrüstung eilte Heinrich nach Deutschland zurück, um den Papst zu
strafen für die Schmach von Canossa. Es gelang ihm auch, den Papst
aus Rom zu vertreiben, der bald darauf vom Schauplatze des Lebens
abtrat. Aber dennoch dauerte es noch Jahre hindurch, daß die ganze
verderbliche Macht des Papstrhunrs über unserem theuren deutschen Vater¬
lande ruhte, und schweres Unheil über Deutschlands Fürsten und Deutsch¬
lands Völker brachte. A. A^htU.
258. Die Glocken zu Speyer.
i.
Zu Speyer im letzten Häuselein
Da liegt ein Greis4) in Todespein,
Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
Viel Thränen rinnen in seinen Bart.
Es hilft ihm keiner in seiner Noth,
Es hilft ihm nur der bitt're Tod!
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.
Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und alle Glocken groß und klein
Mit vollem Klange fallen ein.
Da heißt's in Speyer und weit und
breit:
„Der Kaiser ist gestorben heut!"
Der Kaiser starb, der Kaiser starb!
Weiß keiner, wo der Kaiser starb?"
2.
Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug' und matter Hand
Der Kaiser, Heinrich der Fünfte genannt.
Die Diener laufen hin und her,
Der Kaiser röchelt tief und schwer;
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.
Die kleine Glocke, die langeverstummt,
Die Armensünderglocke summt;
Und keine Glocke stimmet ein,
Sie summet fort und fort allein.
Da heißt's in Speyer und weit und
breit:
„Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?"
Mar v. Der.
259. Die Eroberung Jerusalems.
Im Jahre 1094 erschien in Frankreich und Italien ein Mann,
der barhaupt und barfuß auf einem Esel ritt. Er nannte sich Peter
und war von Amiens in Frankreich. Ein langes Pilgergewand, »on
einem Strick zusammengehalten, umwallte den hageren Leib. Die dürren
Hände hielten ein Kruzifix. Seine großen, dunklen Augen glühten in
unheimlichem Feuer. Wohin er kam, lief Alt und Jung zusammen,
um den wundersamen Mann zu sehen und um den Worten zu lauschen.
*) Kaiser Heinrich IV.