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Erster Zeitraum: 1492—1648.
Christum verläuguen; andere sind gegen die Irrthümer, Mißbrauche und
Tyranneien des Papstthums, für die Wahrheit und die Rechte des Kaisers
und der Stände geschrieben. Ein Widerruf auf Beranlassuug der letzten
würde jene Tyrannei im Namen Aller zu bestätigen scheinen und das Ver¬
derben vieler Seelen nach sich ziehen. Endlich habe ich gegen einzelne Per¬
sonen (Vertheidiger jenes Unrechts) geschrieben, heftiger, als es sich für einen
christlichen Gottesgelehrten schickt. Gern bekenne ich diesen Fehler; allein den
gesammten Inhalt der letztgenannten Schriften kann ich eben so wenig als
den der übrigen widerrufen und hierdurch die Wahrheit verläugueu. Sobald
man mich mit Zeugnissen der heiligen Schrift oder mit klaren, hellen Gründen
eines Irrthums überführt, bin ich bereit, selbst meine Bücher zu verbrennen;
denn nicht aus Anmaßung, sondern um der Wahrheit willen habe ich das
Werk begonnen."
Der Vicar Eck erinnerte ihn, er möge nicht auf fremdartige Dinge ab¬
schweifen und bedenken, daß man von ihm nur eine einfache und deutliche
Beantwortung der Frage verlange: ob er seine Bücher widerrufen wolle;
nehme er nicht einmal das zurück, was schon das Constanzer Concil verdammt
habe, so werde man gegen ihn als Ketzer erkennen. Aber Luther beharrte
bei seiner Antwort und verweigerte jeden Widerruf. Denn dem Papste und
den Kirchenversammlungen, welche sich oft geirrt und widersprochen hätten,
könne er nicht unbedingt glauben, oder gegen sein Gewissen handeln. Mit
fester, unerschrockener Stimme, ganz anders als am ersten Tage, schloß er:
»Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen."
Schon am folgenden Tage (19. April) ward ein Reichsabschied Karl's
vorgelegt: „Da Luther's hochmüthige Lehre alles Bestehende angreife und
umstoße, so wolle er, als Nachfolger der christlichen Kaiser und der katholi¬
schen Könige Spaniens, dessen erbliche Pflicht es sei, ben alten Glauben
zu beschirmen und die Beschlüsse der Concilien in ihrem Ansehen zu erhalten.
Alles daran setzen, diese Ketzerei auszurotten. Leid thue es ihm, so lange
gezögert zu haben; jetzt solle Luther, wie der Geleitsbrief verspreche, zurück¬
gebracht, sonst aber als ein Ketzer behandelt werden. Den Ständen liege
ob, hierüber einen christlichen Beschluß zu fassen." Doch ließ sich der Kaiser
(gutentheils nach dem Wunsche des Pfalzgrafen Lubwig und des Kurfürsten
von Sachsen) mit Rücksicht auf die Stimmung des Volkes („des gemeinen
Mannes") bewegen, daß nochmalsMtliche Unterhandlungen mit Luther be¬
gonnen würden; dies jedock), wie die Katholiken meinten, nur damit er in
sich gehe; alsdann wolle ckan auch Sorge tragen, ihm die Verzeihung des
Papstes auszuwirken. Bei dkr freundschaftlichen Verhandlung in Gegenwart
der Kurfürsten von Trier und von Brandenburg, des Herzogs Georg von
Sachsen, des Bischofs von Augsburg und mehrerer angesehenen und gelehrten
Männer ersuchte der weltmännisch-kluge Kurfürst von Trier ihn milde und
herablassend: er solle selbst angeben, wie ihm unb ber Sache könne geholfen