Full text: Geschichte für Volks- und Bürgerschulen : mit Abbildungen (Nr. 5)

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Bedürfnisse, die durch den einmal herrschenden Luxus in Kleidung u. s. w. 
in's Unendliche vermehrt sind, zwingt sie zu einer Frugalität, die in an¬ 
deren Ländern säst Aermlichkeit heißen würde?) 
Ewig in den Laden und in die daran stoßende, oft ziemlich dunkele 
Hinterstube gebannt, müssen sie fast jedem Vergnügen entsagen. Die 
Theater sind ihnen zu entlegen, meistens zu kostspielig, kaum daß die Frau 
eines wohlhabenden Kaufmanns dieser letztern Elaste zweimal des Jahres 
hinkommt. 
In's Freie kommen sie fast gar nicht; mehrere versicherten uns, sie 
hätten seit zehn Jahren keine anderen Bäume als die von St. James- 
Park gesehen. Die Woche über dürfen sie von Morgens 9 Uhr bis 
Mitternacht den Laden fast gar nicht verlassen; dieser ist sehr oft das 
Departement der Frau, und der Mann sitzt dann in dem oben erwähnten 
Hinterzinlmer und führt die Rechnungen. Sonntags sind freilich alle Läden 
geschlossen, aber die Theater auch, und da alle Untergebene an diesem Tage 
die Freiheit verlangen, auszugehen, so muß die Frau vom Hause es hüten. 
Der größere wirkliche Kaufmann führt ein nicht viel tröstlicheres 
Leben. Auch er muß in gesellschaftlichen und öffentlichen Vergnügungen 
weit hinter den reichen Kaufherren von Hamburg oder Leipzig zurückstehen. 
Doch liegt das zum Theil auch an der Lebensart. Die englischen Frauen 
lieben mehr häusliche-Zurückgezogenheit, sie sind an das rauschende Leben, 
an die großen Cirkel nicht gewöhnt. Sie wollen die Ruhe, Ordnung und 
Gleichförmigkeit in ihrem häuslichen Leben nicht gern stören und unter¬ 
brechen. Die Männer dagegen suchen nach vollbrachtem Geschäft die Freude 
gern auswärts, in Kaffeehäusern und Tavernen. 
Die Familien der meisten wohlhabenden Kaufleute wohnen den grö߬ 
ten Theil des Jahres, oft das ganze Jahr hindurch, auf dem Lande, in 
sehr zierlichen Landhäusern, die sie Cottages, Hütten nennen, obwohl iie 
einen vornehmeren Namen verdienten. Hier genießen Frauen und Kinder 
die freie Lust, halten gute Nachbarschaft, und erfreuen sich ganz gelassen 
und anständig, vielleicht etwas langweilig, des Lebens, während das Haupt 
der Familie den Tag in London aus seinem Comptoir zubringt und sich 
dann Abends einige Stunden aus den herrlichen Wegen zu Pferde oder 
zu Wagen zu den Seinigen begiebt. 
Von der Lebensweise der Großen und Vornehmen läßt sich nichts 
sagen; diese gehören in keinem Lande zur Nation, sondern sind sich überall 
gleich, in Rußland wie in Frankreich, in England wie in Deutschland. 
Die eigentliche Nation muß man im Mittelstände suchen, und zur Zeich¬ 
nung derselben mögen in Folgendem noch einige Züge beitragen. 
*) Verhältnißmäßig lebt in England die arbeitende Mittelclasse allerdings am 
frngalsten, aber keineswegs ärmlich im Verhältniß zu andern Ländern, denn die Beef¬ 
steaks und Hammelbraten fehlen auch au Wochentagen nicht und selbst der Fabrik¬ 
arbeiter und Tagelöhner kann ohne sein tüchtiges tuud vortreffliches) Stück Rindfleisch 
mit einem Glas kräftigen Porterbiers nicht gut leben, während z. B. in Deutschland 
manche Beamtenfamilie viele Tage ohne alles Fleisch sich behelfen muß.
	        
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