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Harte Lehrzeit.
Das Kirchenbuch von Schildan verzeichnet unterm 27. Oktober 1760,
«daß am heutigen Tage getauft August Wilhelm Antonius, ein Söhnlein
Herrn August Wilhelm von Neidhardt, bei der zur Reichsarmee gehörigen
Artillerie bestellten Lieutuants". Die Mutter, eine Tochter des Würzburger
Artillerie-Hauptmanns Müller, war, wie es damals häufig geschah, ihrem
Ehegatten ins Feld gefolgt. Als Friedrich der Große zur Torgauer Schlacht
nahte, brach der Troß der Reichsarmee plötzlich auf. Bei einem eiligen
Nachtmarsche brach der Wagen der Wöchnerin. Auf einen offenen Bauern¬
wagen gerettet, schläft die Mutter erschöpft ein in der kalten Novembernacht;
der Säugling entgleitet ihren Armen und fällt auf den Weg. Dort findet
ihn ein Soldat, der am andern Morgen das unversehrt gebliebene Kind der
schon verzweifelnden Mutter wiederbringt. Der Knabe war gerettet, aber die
schwergeprüfte Mutter konnte sich von dem Schrecken und den Anstrengungen
der Reise nicht erholen und starb bald darauf. Der Vater ließ den Knaben
in Schildan zurück, wo er in harter Not und bitterer Dürftigkeit feine ersten
neun Lebensjahre verbrachte. Soll er doch sogar die Gänse haben hüten
müssen! In mehr als einer Beziehung aber ward ihm dieser Aufenthalt zu
einer trefflichen Vorschule für das spätere Leben. Ans dem ungebundenen
Leben aus dem Lande gewann er sich einen gesunden, kräftigen Leib, von dem
sorglosen Umhertreiben auf grünem Anger die Herrschaft des Pferdes. Aus
dem Kampfe mit der Not lernte er Genügsamkeit und Unabhängigkeit von
Bedürfnissen. Luthers kleiner Katechismus ward ihm der Führer zum kind¬
lichen Glauben an die allwaltende Vorsehung. Auch legte er dort den Grund
zu jenem frischen Lebensmute, der auch in den schwersten Prüfungen der
kommenden Jahre seinen Blick klar und fest und seinen Nacken ungebeugt
erhielt. Mit neun Jahren kam der Knabe in das großelterliche Haus zu
Würzburg, wo er heitere Jugendjahre verleben durfte. Siebzehnjährig bezog
er die Hochschule zu Erfurt, woselbst er auch mit seinem Vater wieder
zusammentraf, der dort als Baumeister angestellt war. Französisch, Englisch
und Mathematik studierte der Jüngling mit Vorliebe; daneben bildete er sich
im Fechten und Reiten zum Meister aus. Als das kleine großväterliche Erbe
zu Ende ging, ward er Soldat. Nach einer kurzen Dienstzeit im kaiserlichen
Heere trat er in Anspachschen Dienst und ging 1782 als Unterlieutnant mit
seinem Bataillon nach Amerika, um für England gegen die amerikanischen
Kolonien zu kämpfen. Nach lx/2 Jahren kehrte er heim, ohne vom eigent¬
lichen Kriege etwas gesehen zu haben. Anspach ward ihm nun zu eng, er
ging nach Preußen und nannte sich von jetzt ab nach einem in Böhmen
gelegenen Schlosse seiner Ahnen Neidhardt von Gneisenau. Zehn Jahre
lang, ausgefüllt mit Entbehrungen aller Art, aber auch mit ernstem
Studium der Kriegswissenschaften, lebte er als Premierlieutnant, um 1795
endlich Hauptmann zu werden. Um vieles freundlicher gestaltete sich nunmehr
seine Lage, zumal er auch eine treue Lebensgefährtin sich gewonnen hatte.
Unermüdlich verfolgte der preußische Hauptmann die Feldzüge des auf¬
strebenden Napoleon, feufzend über das vernachlässigte Heerwesen seines
Vaterlandes. Doch wer hörte ihn, den unbedeutenden Hauptmann mit seinen