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König rief dagegen: Aber alle Gassenjungen Berlins reden schon davon.
Ja, bemerkte der Prinz, die Gassenjungen müssen es freilich besser wissen
als ich; er wiederholte seine Erklärung, sprach zugleich aber auch die
Notwendigkeit aus, daß von anderer Seite nichts geschehe, was Preußens
Existenz bedrohen würde. Siehe her, sagte er, aus die Landkarte und
dort auf Hannover deutend, unter keinen Umständen darf ich zulafseu,
daß zwischen meinen Provinzen eine Macht entsteht, die möglicherweise
feindlich gegen Preußen auftreten könnte.
Ende Januar 1863 hatte er ein längeres Gespräch über die poli¬
tische Lage mit dem englischen Gesandten Sir Andrew Buchanan.
Dieser ließ ihm gleich nachher seinen nach London abzusendenden Bericht
znr Prüfung vorlegen, und es erfolgte unter anderem auch diefe Kor¬
rektur: Ich habe nicht gesagt, daß weder ich, noch mein Sohn, noch
mein Enkel die deutsche Einheit sehen würden; im Gegenteil, ich habe
gesagt, wahrscheinlich würde ich nicht lange genug leben, um Zeuge der¬
selben zu sein, aber ich hoffte allerdings, daß die Einheit zur Zeit meines
Sohnes oder meines Enkels sich verwirklichen würde.
So stellte er deuu diese deutschen Hoffnungen, welche fortdauernd
sein Herz bewegten und fortdauernd durch feilten Rechtssinn ferngehalten
wurden, der Zukunft anheim und wandte seine ganze Krast den nächsten
Sorgen, der Verwaltung seines Preußen, zu. Die selbstlose, rastlose
Pflichttreue, welche er hier bis zum letzten Atemzüge bewährte, bis zu
jenem ergreifenden Worte: Ich habe keine Zeit, müde zu fein — ruhte
wie feine Furchtlosigkeit auf der religiösen Grundstimmuug seines Wesens.
Vielleicht ohne den Ausspruch seines großen Vorsahren zu kennen, der
sich den ersten Diener des Staates nannte, hielt er den Herrscher von
Gott berufen, dem Wohle feines Volkes zu dienen. In diesem Dienste
war er streng, aber strenger gegen sich als gegen jeden andern. Die
Geschäfte ergriff er mit unermüdlichem Fleiße; was ihm früher gleich¬
gültig gewesen, strebte er jetzt, als zu seinem Amte gehörig, zu lernen,
und mit welchem Eifer hat er gelernt! Als die große Reform unserer
Justizverfassung in Vorbereitung war, ließ er, der Siebenzigjährige, sich
noch einen Kursus über Encyklopädie der Rechtswissenschaft vortragen;
gewiß nicht, jagte er, um die Mäuuer des Faches zu meistern, aber um
die Belehrung über etwaige Bedenken zu verstehen und um doch einen
Begriff davon zu haben, was durch meine Unterschrift Gesetzeskraft er¬
halten soll. Nach seinem Tode fand man unter feinen Papieren zahl¬
reiche engbefchriebene Bogen, bedeckt mit Auszügen aus allen Abschnitten
der ihm vorgelegten Entwürfe der Jnstizgefetze, wodurch er Sinn und
Bedeutung derselben sich klar gemacht hatte. Im Vergleich mit feinem
Bruder war ursprünglich fein ästhetisches Interesse gering und das Maß
feiner wissenschaftlichen Kenntnisse bescheiden, aber auch hier wußte er,
was dem Könige obliegt, und unter keiner früheren Regierung ist in
Preußen so viel und so erfolgreich für Kunst und Wissenschaft gewirkt
worden wie unter der seiuigen. Und auch hier erweckte die anfangs aus
Pflichtgefühl übernommene Arbeit feinem empfänglichen Sinne Teilnahme