Full text: Für die Klasse V (Teil 2 = Unterstufe, [Schülerband])

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Erzählungen. 
besser — und gingen auf den Handel ein, eine Witwe ausgenommen. 
Die sagte: „Ich bin eine arme Frau und habe nichts zu verschenken, 
und sechsunddreißig Kreuzer mehr oder weniger machen mir einen Unter¬ 
schied. Ich habe aber in der Schule gelernt: Wahrhaftiger Mund be¬ 
steht ewiglich, und der Gerechte hat's besser als der Ungerechte. Es 
ist aber nicht recht, etwas versprechen und das Versprochene nicht 
thun." 
Und so ging sie allein rechts, während die anderen sich links 
schlugen, und kam auf die Klosterwiese, wo der Pächter Andres mit 
seinen beiden Knechten an der Arbeit war. Da er sich nun wunderte, 
daß sie von den sechs Gedungenen allein kam, erzählte sie ihm alles, 
wie es sich begeben hatte. Der Pächter aber sagte: „Es soll Euer 
Schade nicht sein." Da gingen sie nun rasch ans Werk, und die Frau 
brachte mehr vor sich als drei andere; beim sie war stark von Körper 
und unermüdlich und dachte, wie der Prediger Salomo sagt: Wer 
arbeitet, dem ist der Schlaf süß, und er vergißt seine Sorgen unter 
der Arbeit. 
Als nun Andres ihren Fleiß sah, dachte er: Der armen Witfrau 
will ich heute eine Freude machen, wie sie wohl lange keine gehabt hat, 
uub den: Nachbar soll es auch nicht wohl bekommen, was er mir heute 
anthut. So kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und 
als der Abend kam, gab er ihr einen blanken Friedrichsdor und sagte 
dazu: „Das ist dafür, daß du dein Wort treulich gehalten hast. Geh 
nun und sage es den anderen!" 
Das hätte nun die Frau auch ungeheißen gethan vor großer Freude, 
und so lief sie spornstreichs zu den anderen auf die Jakobswiese und 
zeigte ihnen, was sie bekommen hatte. Da sagten diese untereinander: 
„Ist uns nicht so viel versprochen worden, wie Herr Andres, der Nach¬ 
bar, gäbe und sechsunddreißig Kreuzer mehr?" Und damit gingen sie 
insgesamt zu dem Pächter und verlangten die Erfüllung seines Ver¬ 
sprechens. Der aber lachte sie aus und sagte: „Ihr seid wohl verrückt? 
Ihr bekommt den gewöhnlichen Tagelohn und sechsunddreißig Kreuzer 
darüber. Ist das nicht genug?" — „Mit nichten," sagten die Heu¬ 
macher; „denn Ihr habt heut morgen anders gesagt." 
Da nun jener von einem solchen Arbeitslohn nichts wissen wollte 
und beim Wortwechsel noch obendrein arg schimpfte und drohte, kam die 
Sache vors Gericht, und das sprach gegen den Pächter. 
So mußte dieser jedem der Arbeiter einen Friedrichsdor geben und 
noch sechsunddreißig Kreuzer obendrein, und er erkannte jetzt zu spät, 
daß — wer dem anderen einen Schaden thun will, ihn auf sein eigenes 
Haupt bekommt.
	        
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