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alter, die Spanier im 16. Jahrhundert, einen ähnlichen allseitigen Ein¬
fluß geübt.
Nicht französische Sitte und Sprache allein, auch französische Staats¬
weisheit, die so ungemeine Früchte zeitigte, wurde im Auslande eifrig
nachgeahmt, Das Merkantilsystem Colberts fand zum Unglücke der
Welt allseitigen Beifall mit seinen hohen Zolltarifen, Einfuhrverboten
und Staatsbeglückung auf dem Gebiete der Industrie. Zuerst England
und Holland, dann auch die übrigen europäischen Staaten gingen zu
dieser ökonomischen Anschauung über, obwohl ihre schlimmen Folgen sich
in der französischen Gewerbtätigkeit selbst nach kurzer künstlicher Blüte
zeigten. Sie schlossen sich wie in ihren politischen, so auch in ihren
Handelsinteressen gegeneinander ab und suchten das eigene Heil in der
Bekämpfung und Beeinträchtigung des andern. Nicht der gegenseitige
Austausch, sondern die gegenseitige Ausschließung schien die regelrechte
Grundlage des internationalen Handels zu sein. So wenig wie möglich
von fremden Erzeugnissen zu gebrauchen, wurde die Summe der handels¬
politischen Weisheit; eine Art chinesische Mauer wurde zwischen den Her¬
stellern und Verbrauchern der Waren verschiedener Nationalität errichtet.
Besonders in dem armseligen, verwüsteten, zerrissenen, materiell und
sittlich verlumpten Deutschland des dreißigjährigen Krieges brachte dies
glänzende, in allem Schimmer der Macht, des Reichtums und des Geistes
erstrahlende Frankreich einen geradezu blendenden, unwiderstehlichen Ein¬
druck hervor, nicht nur auf den niedrigen und den vornehmen Pöbel,
sondern auch auf die geistig Höchststehenden des Volkes. Die deutschen Ge¬
lehrten, wie der als Staatsrechtslehrer, Mediziner und damals auch als
Philosoph berühmte Helmstädter Professor Hermann Conring. nahmen
gern die Gnadengehalte Ludwigs und verkündeten dafür den Rnhm
Frankreichs; selbst Leibniz bewunderte eine Zeitlang Ludwig XIV. als
einen zweiten Karl den Großen, als den natürlichen Ober- und Schutz¬
herrn Deutschlands. Von reichspatriotischer Gesinnung war nur bei
einigen besseren unter den Fürsten, bei Adel und Volk aber gar nicht
die Rede.
76. Die Stiftung des preußischen Königtums.
F. Voigt, Geschichte des brandend.-preuß. Staates, 3. Aufl. Berlin 1876.
Uebersicht man die wichtige Stellung, zu welcher der Große Kur¬
fürst seinen Staat erhoben hatte, und auf welcher sein Sohn Friedrich
denselben zu erhalten wußte, erwägt man das Gewicht, das der Staat
durch sein wohlgeübtes Heer bereits vielfach geltend gemacht hatte, das
Ansehen, das der Kurfürst Friedrich III. bei allen streitigen Verhandlungen
nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, in Polen bei der
Thronbesteigung des sächsischen Hauses u. s. w. hervorzuheben wußte;
denkt man ferner daran, daß der brandenburgische ötaat damals bereits
einen Umfang von zweitausend Quadratmeilen erreicht hatte und sich in
bezug auf diese Größe den Königreichen Portugal und Dänemark zur
Seite stellen konnte, so wird man zugeben, daß das Streben Friedrichs