Full text: Lesebuch für die Sonntagschulen der Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Schwaben und Neuburg

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Im Austragstübchen. 
Unter dem PFliederbusch sitzt die Ahne und nickt und schützt 
mit nimmermüder Hand den kleinsten Enkel, dessen Blauaugen das 
erste Sternlein suchen. Und neben der Alten fällt murmelnd und plau— 
schend, als erzähle er fort und fort neue Geschichten, der Brunnenstrabl 
in den langen Irog. 
Das Aveläuten klingt, singt über Dorf und Flur und Wald und 
weckt das Echo und bringt Antwort aus Kirchen und Kapellen nah 
und fern. In diesem Klingen, das wie von weiten Himmeln fönt, schlum- 
mern die Menschen ein, dieé Tieère, dié Blumen; das Peld schläft, die 
Wiese und der Wald. 
Die Nacht zieht herauf in ihrem goldenen Sternenmantel; der 
Mond legt seinen dilberglasf um Turm und Dach, um Reis und Rinde. 
Gottesfriede liegt über der Welt. Ein Schutzgeist schwebt über das 
Dorf und dieé Gemarkung, jener holde Engel, der der Arbeit und dem 
Frohbsinn Himmelsruhe spendet. 
Alois Prletinger. 
31. Im Austragstübchen. 
Der Austrag heißt der kleine Anbau am Hofe, aus welchem heute 
der alte Bauer zum ersten Male herausschaut. Bei dem Anblicke des 
Lebens und Treibens auf dem Hofe vergißt er jedoch, daß er das Gut über— 
geben und nichts mehr zu befehlen hat. „Ei, Marie,“ schreit er nach dem 
Brunnen zu, „hau doch die Kuh nicht unnötig und laß sie in Frieden sau— 
fen; kannst doch die andern zurückhalten, bis die ersten genug haben; denn 
so verdrängen sie einander und die Hälfte geht durstig in den Stall.“ 
Die Magd tut, als höre sie ihn nicht. „Karl,“ ruft nun der Alte wieder, 
„mach doch dem Schimmel die Zugstricke länger; er muß ja den ganzen 
Wagen allein ziehen und der faule Braune geht leer neben her!“ Der 
Knecht dreht sich um, schaut ihm ins Gesicht und lacht. Der Schwieger— 
sohn, der seit gestern das Gut hat, will heute wieder mähen lassen. Der 
Alte jedoch meint, er möge das Gemähte erst einfahren. Kurz antwortet 
der Schwiegersohn: „Das ist jetzt meine Sache; Ihr habt Euch früher wohl 
auch nichts einreden lassen!“ 
Verdrießlich wirft der Alte das Fenster zu und denkt: „Der Schwie— 
gersohn hat eigentlich recht; ich habe ja mein Gut an ihn abgetreten und 
mir nur das kleine Austragstübchen vorbehalten; er ist ein fleißiger, spar— 
samer Mensch und wird schon allein auf die rechte Fährte kommen, wenn 
er auch anfangs manches verkehrt macht; er war zwar grob, hat's aber 
gewiß nicht böse gemeint.“ So denkt er und dann steigt er hinab in den 
Hof um zu sehen, wie er sich irgendwo nützlich machen könne. Er geht 
in die Scheune und macht Strohbänder; denn die kann man immer brau— 
chen, denkt er. Über seiner Arbeit legt sich vollends die Aufregung. Auch 
bei dem Schwiegersohne schwindet sie. Er denkt: „Es ist doch meines 
Weibes Vater und das Gut kommt von ihm; aber wer kann die Worte genau
	        
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