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die Stadt verlassen. Auf Verwendung der genannten wiener Juden und der Ge¬
sandten von England und Holland nahm die Kaiserin ihr Edict zurück, hingegen
bestimmte sie die Zahl der jüdischen Familien, welche in Böhmen (20000) und in
Mähren (5100) ferner als „Familianten“ geduldet werden sollten.
Die Verhältnisse der Juden in Ungarn hingen im 16. und 17. Jahrhundert
nur zum Theil von den habsburgischen Kaisern ab. Die Juden in den ungarischen
Landestheilen, welche unter österreichischer Herrschaft standen, wurden wie ihre
Glaubensgenossen in Oesterreich, Böhmen und Mähren hart bedrückt und ver¬
folgt, hingegen hatten die unter türkischer Herrschaft, in Ofen, Stuhlweissenburg,
Gran, Grosswardein, Temesvar und anderen Städten glückliche Zeiten: sie genossen
freie Religionsübung, waren in ihrem Erwerb durch keine Ausnahmsgesetze be¬
schränkt und verkehrten freundschaftlich mit den Türken. Es ist daher be¬
greiflich, dass die Juden in den häufigen Kriegen zwischen der Pforte und Oester¬
reich entschieden auf Seite der Türken standen. Als die Oesterreicher 1681
Ofen belagerten, vertheidigten es die Juden so tapfer, dass die Rettung der Stadt
ihnen zugeschrieben wurde und Sultan Mohammed IV. als Anerkennung ihrer
Leistungen ihnen Steuerfreiheit und besondere Privilegien ertheilte. Fünf Jahre
später fand man die Juden wieder auf den Wällen Ofens. Nach der Erstürmung
der Festung nahm der Feind blutige Rache an ihnen: Hunderte von Juden
wurden theils niedergemetzelt oder in die Donau gesprengt, theils in Gefangen¬
schaft geschleppt. Bei der Einnahme Ofens ist dem Tode glücklich entronnen:
Zewi Aschkenasi (Chacham Zewi), dessen Grossvater Ephraim Kohen, Ver¬
fasser der Rechtsgutachten „Schaare Ephraim“, aus Wilna, 12 Jahre in Ofen
Rabbiner war. Er lebte als Rabbiner in Serajevo, Hamburg, Lemberg und Amster¬
dam, wo er 1718 starb; seine Rechtsgutachten sind sehr geschätzt.
Unter österreichischer Herrschaft lasteten auf den Juden in Ungarn schwere
Steuern, deren Repartition oft zu Streitigkeiten in den Gemeinden führte. Infolge
der Einwanderung der aus Wien Vertriebenen bildeten sich in den ödenburger,
zalaer und eisenburger Comitaten neue Gemeinden (schewa Kehillot), deren be¬
deutendster Rabbiner Meir Eisenstadt (st. 1744), der Verfasser der Rechts¬
gutachten „Panim Me'irot“, war.
§ 13. Die Juden in Preussen und die christlichen Gelehrten.
Im Kurfürstenthum Brandenburg, wo seit der Vertreibung von 1573 Juden
nicht wohnen durften, gestattete der grosse Kurfürst, der sie in den durch den
Westphälischen Frieden ihm zugefallenen Landestheilen, in Halberstadt, Cleve u. a.
geduldet, sogar den Elia Gomperz aus Emmerich zu seinem Hofjuden und
Agenten ernannt hatte, 50 Familien der aus Wien Vertriebenen den Aufenthalt
in den Städten der Mark, freilich unter harten Bedingungen und nur auf
20 Jahre; er war auch der erste deutsche Fürst, der den Juden den Besuch
der Universität Frankfurt erlaubte, und der erste Jude, der von dieser Er-
laubniss Gebrauch machte, war Tobia Kohen (geb. 1652), der in Padua seine
Studien beendete und ein philosophisch-medicinisches Buch „Maasse Tobia“ schrieb.