Full text: Handbuch der Israelitischen Geschichte von der Zeit des Bibel-Abschlusses bis zur Gegenwart

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Siebenter Abschnitt. 
Yon Moses Mendelssohn Ms auf die Gegenwart. 
§ 1. Moses Mendelssohn. 
Der Mann, mit dem die neuere Geschichte der Juden beginnt, ist Moses 
Mendelssohn, nach seinem Geburtsorte Dessau auch Moses Dessau genannt. 
Er wurde geboren 6. September 1729, in demselben Jahre, in dem auch Lessing 
das Licht der Welt erblickte. Sein Vater Mendel, ein armer Elementarlehrer 
und Thorarollenschreiber, ertheilte ihm den ersten Unterricht, übergab ihn aber 
bald der Leitung des damaligen dessauer Rabbiners David Frankel, der ihn 
im Talmud unterrichtete und ihm Anleitung zum Verständniss der jüdisch-philo- 
sophischen Schriften gab; ganz besonders war es das Werk More Nebuchim 
des Maimonides, dessen Studium sich der Jüngling, freilich auf Kosten seiner 
Gesundheit, mit glühendem Eifer ergab. „Diesem Maimonides“, sagte er oft 
scherzend, „habe ich es zuzuschreiben, dass ich einen so verwachsenen Körper 
bekommen; er allein ist die Ursache davon, aber deswegen Hebe ich ihn doch, 
denn der Mann hat mir manche trübe Stunde meines Lebens versüsst und so auf 
der einen Seite mich zehnfach für das entschädigt, um was er mich in Betracht 
meines Körpers gebracht hat“. 
Als im Jahre 1742 Fränkel als Oberrabbiner nach Berlin berufen ward, 
folgte ihm bald der von Wissensdurst getriebene 14jährige Moses dorthin. Mit 
nur wenigen Groschen, ohne Empfehlungen, ohne den Muth, sich Fremden zu 
nähern, ohne Freunde und Bekannte, trat Moses in die Metropole der Bildung 
ein. Wo sollte er nun wohnen, wovon sich ernähren, an wen sich um Bath und 
Hülfe wenden? Er stellte sich seinem Lehrer vor und dieser nahm sich seiner 
mit aller Liebe an. Bei einem wohlthätigen Manne, namens Heimann Bamberger, 
verschaffte er ihm freie Wohnung in einem Dachstübchen und einige Freitische; 
er selbst zog ihn an Sabbat- und Festtagen an seinen Tisch, und da Moses eine 
schöne Hand schrieb, so übertrug er ihm die Abschrift seiner Arbeiten, wofür 
er ihm wöchentlich einige Groschen gab. Manche Nacht legte der arme Jüng¬ 
ling sich nieder, ohne seinen Hunger stillen zu können! Auf dem Brote, das oft 
seine alleinige Mahlzeit büdete, bezeichnete er mit sorgsam abgemessenen Strichen 
den Theil, den er an dem einen Tage essen durfte, um den ändern Tag nicht 
vollends darben zu müssen, ja es mangelte ihm zuweilen an reiner Wäsche, so- 
dass er sich den Leuten aus Scham nicht zeigen mochte. 
Die Noth beugte seinen Geist nicht. Mendelssohn widmete sich mit un¬ 
geschwächtem Eifer dem Studium des Talmud und suchte sich die damals bei den 
Juden noch verpönte deutsche Sprache anzueignen. Israel Samoscz, ein Pole, 
der seiner Freisinnigkeit wegen aus seiner Heimat verjagt worden war, brachte 
ihm die Elemente der Mathematik bei, und ein junger jüdischer Arzt aus Prag, 
namens Kisch, erbot sich, ihm bei der Erlernung des Lateinischen behülflich zu 
sein. Durch Kisch, der ihn nur wenige Monate unterrichtete, machte er die Be¬ 
kanntschaft eines jüdischen Arztes, Doctor Ahron Gumperz, der ihn nicht 
nur Englisch und Französisch lehrte, sondern auch in die Literatur und m die 
damals herrschende Leibniz-Wolfsche Philosophie einführte. Auch zur Ver-
	        
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