Metadata: Lesebuch für die Oberstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

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das herrschende Volk, im Jahre 559 v. Chr. aber machte sich zum Herrn über beide 
Völker der Perser Cyrus, einer der gewaltigsten Männer, die die Geschichte kennt. Seine 
Mutter war eine Tochter des medischen Königs Astyages, der sie mit einem persischen 
Fürsten verheiratet hatte. Auf wunderbare Weise entging Cyrus den Verfolgungen seines 
Großvaters, der ihn haßte, weil ihm die Magier Priester) geweissagt hatten, der Sohn 
seiner Tochter werde ihm die Herrschaft entreißen. Nachdem Astyages späler den Haß 
gegen seinen Enkel aufgegeben hatte, lebte dieser zeitweilig am medischen Hofe und gaß 
Beweise seiner Klugheit. Einst nahm er, neben seinem Großvater sihend, an einem Prunk⸗ 
mahle teil, das der König seinen Großen gab. Lange sah er staunend zu, wie vielerlei 
Speisen aufgetragen wurden; endlich sagte er zu dem alten Könige Wer, lieber Groß— 
vater, du hast doch schrecklich viel Mühe satt zu werden, wenn du von dem allen essen 
mußt.“ Astyages lachte und sprach: „Glaubst du denn nicht, daß dies hier viel besser 
sei, als eure persischen Mahlzeiten?“ — „ZIch weiß nicht,“ antwortete Cyrus; „aber wir 
werden viel geschwinder und leichter satt als ihr; uns ist Brot und Fleisch genug. Mit 
Erlaubnis des Alten verteilte er darauf von den Speisen unter die Dienern, nur dem 
Mundschenken gab er nichts. Der König, der den Schenken liebte, fragte den Cyrus im 
Scherz: „Warum gibst du denn dem nichts, den ich doch so lieb habe und varum 
hast du ihn lieb?“ fragte Cyrus. „Siehst du nicht,“ antwortele der König, „wie schön 
er den Wein eingießt und ihn kostet und mir zureicht?“ — „O,“ rief Cyrus, „das kann 
ich so gut wie er und noch besser; denn ich will dir den Becher nicht halb austrinken, 
wie er.“ Darauf nahm er den Becher, goß aus der Schale Wein ein und reichte ihn 
dem Könige. „Aber,“ sprach der Alle, „du mußt den Wein auch kosten“ da⸗ lasse 
ich wohl,“ antwortete Cyrus „denn ich weiß, es ist Gift darin. Ich habe das neulich wohl 
bei deinem Gastmahle gesehen.“ — „Wie das?“ rief der Alte. „Wißt hr nicht mehr, 
wie ihr von Verstand und Sinnen kamet, sobald er euch zu trinken gegeben hatted Was 
war das für ein Lärm! Wie habt ihr durcheinander geschrieen und gelacht! Die Sänger 
schrieen sich die Kehlen heiser, kein Mensch verstand sie, und doch rieft iht alleß Wunder! 
So lange ihr saßet, sprach jeder von seiner Stärke; sobald ihr aufftandet zum Tanzen, 
fielet ihr über eure eignen Füße. Ihr wußtet alle nicht mehr, was und wer ihr seid; 
du nicht, daß du König bist, und die nicht, daß sie Untertanen sind. — „Wer,“ prach 
Astyages, wenn dein Vater trinkt, berauscht er sich nie?“ „Nie!“ und was 
macht er denn?“ — „Er hört auf zu dürsten, sonst nichts.“ 
Cyrus war noch ein Jüngling, da überzeugte er die Edlen der Perser, daß die 
Knechtschaft der Meder, unter der sie lebten, ihrer unwürdig sei; sie wählten ihn zu ihrem 
Anführer, und er besiegte das Heer der Meder, das von einem verräterischen Feldherrn 
des Astyages geführt wurde. So ward Cyrus Kbnig von Persien und Medien 659. 
Seinen Großvater behielt er als Gefangenen bei sich. 
Der mächtigste von den Königen der Nachbarvölker war der durch seine Reichtümer 
sprichwörtlich gewordene Krösus, König der Lydier in Kleinasien. Dieser war eifersüchtig 
auf des Cyrus wachsende Macht und ihm feind, weil er seinen Verwandten Astyages vom 
Throne gestoßen hatte. Er versammelte ein großes Heer; doch ehe er ausruckte schickte 
er große Geschenke an Priester, von welchen man glaubte, daß sie die Zukunft offen⸗ 
barten, und ließ fragen, ob er den Cyrus angreifen solle. Die Antwort lautete. „Geht 
Krösus über den Halys, so wird er ein großes Reich zerstören“ Der Halys ist ein Fluß, 
welcher das damals sehr weit ausgebreitete Reich des Krösus von dem des Cyrus trennte. 
Krösus zweifelte nicht, daß die Antwort ihm einen glücklichen Erfolg verheiße, wenn er 
den Cyrus in seinem Reiche angreife Er ging über den Halys; es kam zu einem hart⸗ 
näckigen Treffen, worin aber kein Teil siegte. Nun zog Küösus sich zurück, um cn 
stärkeres Heer zu sammeln. Aber unvermutet folgte ihm Chrus und eroberte seine 
Hauptstadt Sardes 546). 
Cyrus hatte befohlen, alle Lydier zu töten, ausgenommen den Krösus. Seine 
Soldaten mordeten auf schreckliche Weise, und schon war auch einer im Begriff, den 
Krösus, den er nicht kannte, zu durchbohren, als der älteste Sohn des Königs, der bis 
dahin stumm gewesen war, auf einmal schrie: „Schone des Königs!“ — Der Soldal 
führte den Krösus gefangen zu Cyrus. Es ward dem Morden Einhalt getan, aber der 
König der Lydier sollte lebendig verbrannt werden. Man errichtete einen Scheiterhaufen 
und setzte den Krösus mit vierzehn der vornehmsten Lydier darauf Als das Feuer den 
Scheiterhaufen ergriff, rief der Unglückliche laut: O Solon! Solon! Solon 
Cyrus wurde begierig zu wissen, wen er riefe. Krösus schwieg anfangs; endlich ant⸗ 
wortete er: „Ich rufe einen Mann, den ich allen Königen zum Lehrer sehen möchte!“ — 
Cyrus ward neugierig; er befahl, den Scheiterhaufen zu löschen und den Krösus zu ihm 
zu führen. Man hatte Mühe, das Feuer, das schon start um sich gegriffen hatte, zu
	        
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