Full text: Die Hohenzollern von Kaiser Wilhelm II. bis zum Großen Kurfürsten (H. 1)

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wohnte, aber der Kronprinz schritt die Treppen hinauf und bückte sich 
in der niedrigen Kammerthüre. 
Da lag in einem armseligen Bette eine schwerkranke Frau ohne 
Pflege, ohne Arzt und ohne die nötige Nahrung. Um sie herum saßen 
vier kleine Kinder. Die arme Kranke erzählte dem Kronprinzen, daß es 
ihr und den Kindern ganz gut gegangen hätte, so lange ihr Mann für 
sie hätte sorgen können und sie selbst gesund gewesen wäre. Nun aber 
müßten sie wohl alle Hungers sterben: denn niemand kümmere sich 
um sie. 
„Da sei Gott vor!" rief der Prinz erschüttert aus. Er gab dem 
größeren Mädchen einen Thaler, damit es ein Brot und eine Flasche 
Wein hole. Und als mittlerweile sein Diener, der ihm immer von 
weitem nachgefolgt war, herbeikam, schickte er diesen zu einem Arzte. 
Dann ließ er sich ruhig auf einem Stuhle nieder, und es jammerte und 
freute ihn zugleich, wie sich die Armen an dem Brote und dem Weine 
labten. Als der Arzt erschien, ging er schnell hinaus; aber unbemerkt 
hatte er eine größere Geldsumme auf einem Schemel zurückgelassen. 
Der Arzt fand, daß der Kranken nichts fehlte als gute Nahrung. 
„Seid getrost, Frau", sagte er, „Euch wird mit Gottes Hilfe geholfen 
werden. _ Ihr müßt wieder anfangen zu essen, aber langsam. Morgen 
komme ich wieder und so jeden Tag, bis Ihr wieder ganz gesund seid. 
Habt keine Sorge, es ist alles im voraus bezahlt. Der fremde Herr 
hat Euch auch noch ein Extra-Rezept hinterlassen". Damit deutete er 
auf das Geldgeschenk. 
Die Frau machte große Augen und fragte fast erschrocken: „Wer 
war denn der gute, liebe vornehme Herr?" 
„Das war der Kronprinz von Preußen; Ihr könnt Gott danken, 
daß Ihr einen solchen Helfer gefunden habt." 
Da faltete die Kranke die Hände, und zwei dicke Thränen rollten 
ihr über die abgezehrten Wangen. 
2. Seine Krankheit. Aber leider war dem vortrefflichen Herrn ein 
trauriges Los beschieden. Er wurde, noch ehe er Kaiser geworden war, von 
einem bösen Halsleiden befallen. Man merkte das zuerst an einer anhalten¬ 
den Heiserkeit. Trotzdem viele berühmte Ärzte die Heilung versuchten, mi߬ 
lang diese. Es stellten sich Atembeschwerden ein, und die Stimme verlor 
sich. Nun brachte man den kranken Kronprinzen nach Italien. Man hoffte 
nämlich, in diesem warmen Lande würde es besser mit ihm werden. Aber 
es half alles nichts. Das Übel ergriff den Kehlkopf, und es war voraus¬ 
zusehen, daß der Kranke sterben müßte. 
3. Friedrich als Kaiser und König. Der Kummer darüber brach 
dem Vater des Kronprinzen, dem alten Kaiser Wilhelm das Herz. Im 
Frühjahre von 1888 starb er, ohne daß ihn der kranke Sohn noch einmal 
gesehen hatte. Friedrich war nunmehr Kaiser und König, und es zog ihn 
mit Macht heimwärts. Die Ärzte wollten zwar durchaus nichts von der 
Reise nach Berlin wissen; aber Kaiser Friedrich ließ sich nicht abhalten. „Und 
wenn ich unterwegs sterben sollte, ich muß heim", sagte er. Es war ein
	        
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