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wohnte, aber der Kronprinz schritt die Treppen hinauf und bückte sich
in der niedrigen Kammerthüre.
Da lag in einem armseligen Bette eine schwerkranke Frau ohne
Pflege, ohne Arzt und ohne die nötige Nahrung. Um sie herum saßen
vier kleine Kinder. Die arme Kranke erzählte dem Kronprinzen, daß es
ihr und den Kindern ganz gut gegangen hätte, so lange ihr Mann für
sie hätte sorgen können und sie selbst gesund gewesen wäre. Nun aber
müßten sie wohl alle Hungers sterben: denn niemand kümmere sich
um sie.
„Da sei Gott vor!" rief der Prinz erschüttert aus. Er gab dem
größeren Mädchen einen Thaler, damit es ein Brot und eine Flasche
Wein hole. Und als mittlerweile sein Diener, der ihm immer von
weitem nachgefolgt war, herbeikam, schickte er diesen zu einem Arzte.
Dann ließ er sich ruhig auf einem Stuhle nieder, und es jammerte und
freute ihn zugleich, wie sich die Armen an dem Brote und dem Weine
labten. Als der Arzt erschien, ging er schnell hinaus; aber unbemerkt
hatte er eine größere Geldsumme auf einem Schemel zurückgelassen.
Der Arzt fand, daß der Kranken nichts fehlte als gute Nahrung.
„Seid getrost, Frau", sagte er, „Euch wird mit Gottes Hilfe geholfen
werden. _ Ihr müßt wieder anfangen zu essen, aber langsam. Morgen
komme ich wieder und so jeden Tag, bis Ihr wieder ganz gesund seid.
Habt keine Sorge, es ist alles im voraus bezahlt. Der fremde Herr
hat Euch auch noch ein Extra-Rezept hinterlassen". Damit deutete er
auf das Geldgeschenk.
Die Frau machte große Augen und fragte fast erschrocken: „Wer
war denn der gute, liebe vornehme Herr?"
„Das war der Kronprinz von Preußen; Ihr könnt Gott danken,
daß Ihr einen solchen Helfer gefunden habt."
Da faltete die Kranke die Hände, und zwei dicke Thränen rollten
ihr über die abgezehrten Wangen.
2. Seine Krankheit. Aber leider war dem vortrefflichen Herrn ein
trauriges Los beschieden. Er wurde, noch ehe er Kaiser geworden war, von
einem bösen Halsleiden befallen. Man merkte das zuerst an einer anhalten¬
den Heiserkeit. Trotzdem viele berühmte Ärzte die Heilung versuchten, mi߬
lang diese. Es stellten sich Atembeschwerden ein, und die Stimme verlor
sich. Nun brachte man den kranken Kronprinzen nach Italien. Man hoffte
nämlich, in diesem warmen Lande würde es besser mit ihm werden. Aber
es half alles nichts. Das Übel ergriff den Kehlkopf, und es war voraus¬
zusehen, daß der Kranke sterben müßte.
3. Friedrich als Kaiser und König. Der Kummer darüber brach
dem Vater des Kronprinzen, dem alten Kaiser Wilhelm das Herz. Im
Frühjahre von 1888 starb er, ohne daß ihn der kranke Sohn noch einmal
gesehen hatte. Friedrich war nunmehr Kaiser und König, und es zog ihn
mit Macht heimwärts. Die Ärzte wollten zwar durchaus nichts von der
Reise nach Berlin wissen; aber Kaiser Friedrich ließ sich nicht abhalten. „Und
wenn ich unterwegs sterben sollte, ich muß heim", sagte er. Es war ein