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Xat nicht geschehen, tretet heran zur Bahre; bei wessen Nahen die
Wunde des Erschlagenen wieder zu bluten beginnt, der ist der Mör¬
der!" Da trat Hagen herzu, und die Wunde blutete. So ward seine
Untat allem Volke offenbar, und hatte man bisher um den Toten
getrauert, so klagte man jetzt auch über die Schande. Drei Tage ver¬
blieb der Leichnam über der Erde, während das jammerreiche Weib
rotes Gold in Fülle spendete allen, die für des geliebten Mannes Seele
beten wollten. Dann ward er zur Gruft getragen.
16. Siegmunds Heimkehr. Danach verlangte es den König
Siegmund, heimzufahren aus so ungastlichem Land, wo man die Treue
so schnöde gebrochen hatte. Und er sagte es Kriemhilde an. Die aber
rang in bitterem Leid, ob sie des Gatten Grab verlassen könnte; unb
als bie greise Mutter unb Gernot unb Giselher sie baten zu bleiben,
ba gewann sie es nimmer über sich, von bannen zu ziehen; unb ob auch
Siegmunb ihr Macht unb Ehre bot unb sie bes Söhnleins gemahnte,
sie mußte ba bleiben, wo ihr Trauter begraben lag. Freublos nach so
schlimmer Fahrt zogen bie Nibelungen ohne ihre Königin heim, von
niemanb geleitet als vom jungen Giselher.
17. Kriemhilbens Witwenstand. Jahre vergingen; noch
immer trauerte Kriemhilbe um ben Gatten unb noch immer hatte sie
Günther nicht verziehen unb Hagen nicht einmal gesehen. Der aber ge¬
bachte, von argem Haß erfüllt, wie er ihr neues Herzeleib bereiten
könnte. Er raunte Günther zu, baß er versuchen sollte sich mit ber
Schwester auszusöhnen. Dann könnte man sie vielleicht bereben, baß sie
ben Nibelungenhort nach Worms bringen ließe, ber bann bereinft ben
Burgunben anheimfiele. Günther gab ihm Gehör unb ließ burch feine
Brüber Kriemhilbe um Versöhnung bitten. Und wirklich vergab bie
Trouernbe ihm unb allen, bie um ben Anschlag gewußt hatten, nur Hagen
nicht. Sie willigte auch ein, baß man ben Schatz hole. Traurig gab Albe¬
rich ihn heraus, konnte ihn aber nicht weigern, ba er wußte, baß Sieg-
frieb ihn bereinft ber Gattin als Morgengabe geschenkt hatte. Als aber
Kriemhilbe anfing von bem Golbe reichlich zu fpenben, warb Hagen
besorgt, baß sie bnburch großen Anhang gewinne, ben sie vielleicht zur
Rache vertvenben könnte. Wieber trat er beshalb als Versucher zum
König; ber erwiberte ihm zwar, baß er ber Schwester geschworen
habe, ihr nie wieber ein Leib zuzufügen; aber auch biesmal war
er schwach genug, bem Bösen nicht kräftig zu wehren. Hagen ersah
die Gelegenheit, als bie Brüber auf einer Heerfahrt außer Lanbes
waren unb ließ in ihrer Abwesenheit ben ganzen Hort in ben Rhein-
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