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Alte Mißbräuche hob er auf; manche Saft, die das Volk be¬
drückte, schaffte er ab. In allen seinen Landen wollte er gleiche
Einrichtungen und Gesetze einführen und gleichsam einen neuen
Staat schaffen, in welchem Freiheit und Gerechtigkeit herrschen
sollten. Aber in seinem Eifer schritt er nur allzu feurig vor¬
wärts. Seine Unterthanen verstanden seine guten Absichten
nicht; sie wollten sich von den alten Gewohnheiten nicht trennen,
des Kaisers Plänen nicht fügen. So erntete Joseph statt Liebe,
die er so sehr verdiente, vielmehr Haß und Undank. In manchen
Teilen seines Reiches entstanden böse Garungen, ja es kam
sogar zu offener Empörung wider ihn. Da ließ der Kaiser,
gebeugt durch so traurige Erfahrungen, sein Werk unausge¬
führt. „Ich möchte," sagte er vor seinem Ende zu den Um¬
stehenden, „daß man auf meinen Grabstein die Worte setzte:
„Hier ruhet ein Fürst, dessen Absichten rein waren, der aber das
Unglück hatte, alle seine Pläne scheitern zu sehen."
45. König Friedrich Wilhelm II. (1786—1797) und die
franMsche Revolution.
1. Friedrich Wilhelm II. — Auf Friedrich II. (den
Großen) folgte sein Neffe Friedrich Wilhelm II.,
1786 — 1797. Er kam seinem großen Vorfahren bei weitem
nicht gleich. Und doch hätte gerade jetzt Preußen eines besonders
einsichtigen und thatkräftigen Herrschers bedurft. Denn zu
dieser Zeit — 1789 — brach in Frankreich eine große Revo¬
lution (oder Staatsumwälzung) aus, welche auch die übrigen
Länder Europas in heftige Kämpfe verwickelte.
2. Die französische Revolution. — In Paris
kam es zu gräßlichen Aufständen, bei denen das Volk gegen
feinen König (Ludwig XVI.) die Waffen ergriff, ihn gefangen
setzte und endlich wie einen Verbrecher hinrichten ließ, obgleich
der König ein rechtschaffener Mann war, der es mit feinem
Lande wohl meinte. Aber feine Vorfahren auf dem Throne
hatten freilich arg gesündigt, und die Liebe zu dem Königshaufe
war in den Herzen der Franzosen längst erstorben. Sie wollten
hinfort gar keinem Könige mehr unterthänig fein und verwan-