258 Brandenburgische Ansprüche auf Schlesien.
Die brandenburgischen Kurfürsten scheinen einstweilen weitere Schritte
zur Wahrung ihrer Rechte nicht gethan zu haben, bis unter dem großen Kur¬
fürsten durch das Erlöschen der liegnitzischen Fürsten der Erbfall wirklich ein¬
trat. Im Jahre 1675 starb der letzte Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau.
Alsbald nahm der Kaiser die schlesischen Fürstenthümer als verfallene böh¬
mische Lehen in Besitz. Kurfürst Friedrich Wilhelm, damals mit dem Kriege
am Rheine, sowie mit der Abwehr der Schweden in seinen alten Erblanden
(es war das Jahr der Schlacht von Fehrbellin) vollauf beschäftigt, konnte
sich dem Vorgehen des Kaisers nicht sofort widersetzen; erst im Jahre 1683
machte er seine Ansprüche auf die liegnitzische Erbschaft, sowie die alten
Rechte seines Hauses auf Jägerndorf geltend. Der Kaiser wies jedoch zu¬
nächst alle diese Forderungen zurück. Erst als er einige Jahre darauf unter
den Gefahren, die ihm zugleich von den Türken und von Frankreich her zu
drohen schienen, des Beistandes des großen Kurfürsten dringend bedürftig
war, erklärte er sich zu einem Zugeftändniß in Betreff Schlesiens bereit, um
damit zugleich „alle Differenzen und Prätensionen mit einem Male aus dem
Wege zu räumen." In dem am 8. April 1686 abgeschlossenen Vertrage
zu Berlin (durch welchen ein Schutzbündniß zwischen dem Kaiser uud dem
Kurfürsten auf 20 Jahre hergestellt wurde) gab Brandenburg alle
seineAnsprüche auf die schlesische nF ür st enthüm er auf, sollte
aber dafür den zum Fürstenthume Glogan gehörigen Kreis
Schwiebus erhalten, sowie die Anwartschaft aus Ostfries-
land (auf welches das in den Besitz von Jägerndorf gefetzte Haus Lichten¬
stein Anforderungen hatte).
Während so die schlesische Erbschaft zunächst auf den Schwiebufer Kreis
zusammenschmolz, hatte sich der Kaiser durch den früher erwähnten geheimen
Vertrag mit dem Sohne Friedrich Wilhelm's schon im voraus die Rückgabe
vonSchwiebnsumden Preis der Aufhebung des letzten Testaments des
großen Kurfürsten zu sichern gesucht. Der Kurprinz versprach dem kaiser¬
lichen Gesandten nicht blos mündlich, sondern auch durch einen schriftlich
ausgestellten Revers, den Kreis Schwiebus, sowie er zur Regierung gekom¬
men, zu restituiren.
Nach feiner Thronbesteigung erklärte zwar Kurfürst Friedrich III. auf
den Rath feiner Minister, daß dieser Revers ihm hinterlistig abgelockt wor¬
den sei und keine rechtliche Geltung habe, da er bei Lebzeiten seines Vaters
keine Gewalt und Berechtigung zur Abtretung von Landestheilen gehabt habe;
er weigerte sich, die gegebene Zusage zu erfüllen, und drohete, der Gewalt
gleichfalls Gewalt entgegenzusetzen. Wolle man Schwiebus durchaus zurück
haben, so werde er seine gestimmten Anforderungen auf Liegnitz, Brieg,
Wohlau, Jägerndorf n. f. w. erneuern. Doch blieben alle feine Protestatio¬
nen und Vorstellungen am kaiserlichen Hofe fruchtlos. Nach langwierigen
Verhandlungen bequemte er sich dazu, den Kreis Schwiebus für eine
Geldsumme von 250,000 Gulden und für die Anwartschaft
auf Ost friesland aufzugeben. Bei der Vollziehung dieses Abkom¬
mens (des Retraditionsrecesses von 1694) widersetzte sich sein Gesandter der
Erwähnung eines Verzichts auf die brandenburgischen Ansprüche an die alten
schlesischen Fürstenthümer; mit Unrecht ist aber später behauptet worden, der