716 Deutschlands Friedenspolitik.?
Tage nach der glorreichen Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches als die
höchste Aufgabe desselben verkündigte, nämlich: „ein zuverlässiger Bürge
des europäischen Friedens zu sein," — das haben die drei Kaiser der
großen Reiche des europäischen Festlandes seitdem als ihre gemeinsame
Aufgabe erfaßt und erkennen lassen, ;uud dadurch dem segenverheißenden
Streben eine unerschütterliche Sicherheit der Erfüllung gegeben. — Das
Vertrauen, welches die beiden alten Kaiserreiche dem neuen Deutschen
Reiche entgegentrugen, bewährte seine Kraft und Bedeutung auch darin,
daß es dazu beitrug, die alten freundlichen Beziehungen zwischen Oester¬
reich und Rußland sichtlich zu beleben und zu befestigen.
Die Drei-Kaiserpolitik hat Europa während der nächsten Jahre
beherrscht, selbst in Frankreich die Revanchepläne, von welchen viele Kreise
dort erfüllt waren, zurückgedrängt.
Der deutschen Politik ist es zunächst auch gelungen, Europa während
des jüngsten Orientkrieges den Frieden zu wahren, ohne doch dabei in
die Rolle eines bloßen Zuschauers zu verfallen.
Seit dem Beginn der Unruhen zunächst in der Herzegowina hatten
die europäischen Regierungen im Interesse der Erhaltung des allgemeinen
Friedens ihre Blicke auf die dortigen Ereignisse gerichtet. Die gemein¬
samen Bestrebungen waren dahin gerichtet, den Kampf auf das bisherige
Gebiet zu begrenzen, sowie die Gefahren und das Elend desselben zu ver¬
mindern, besonders indem Serbien und Montenegro von der Betheiligung
an der Bewegung zurückgehalten wurden. Die Cabinette von Wien,
Petersburg und Berlin hatten deshalb in Folge eines vorgängigen ver¬
traulichen Ideenaustausches der ernstlichen Erwägung der europäischen
Garantiemächte die Nothwendigkeit vorgestellt, der hohen Pforte anzu¬
empfehlen, ihr Programm durch solche Maßregeln zu vervollständigen, die
unabwendbar erscheinen, um in den augenblicklich durch die Geißel des
Bürgerkrieges verwüsteten Provinzen Friede und Ordnung wiederherzu¬
stellen. Die Mächte Europa's vereinigten sich unter dem Einfluß Deutsch¬
lands zunächst über das sogenannte „Berliner Memorandum", sodann
durch das „Londoner Protokoll" über eine gemeinsame Politik; aber die
Rathschläge derselben scheiterten an der Hartnäckigkeit der Pforte. Bei
Schluß des Reichstages von 1876 noch konnte der Kaiser sagen:
„Der bisherige Fortgang der Verhandlungen der europäischen Mächte
über die im Orient schwebenden Fragen berechtigt Mich zu der
Hoffnung, daß es Meinen Bemühungen und den einander entgegen¬
kommenden friedlichen Intentionen der an der Entwickelung der Dinge
im Orient unmittelbar betheiligten Mächte gelingen werde, die schwebenden
Fragen ohne Beeinträchtigung der guten Beziehungen zu lösen, welche
gegenwärtig unter ihnen obwalten. Ich werde, gestützt von dem Ver¬
trauen, welches Deutschlands friedliebende Politik sich erworben hat, im
Wege freundschaftlicher und selbstloser Vermittelung mit Gottes Hülfe auch
ferner dazu mitwirken."
Aber die hier noch ausgedrückte Hoffnung wurde vereitelt und es kam
(1877) zum Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Türkei. Als
nun in Folge der siegreichen Kriegführung Rußlands die Türkei ohnmächtig