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Kreuzzüge hießen die Kriege zur Eroberung oder zum Schutze des
heiligen Landes, wo Christus gelebt und gelehrt hat und wo er am
Kreuze gestorben ist; daher trug jeder Teilnehmer auf seinem Mantel
das Zeichen eines Kreuzes. Auf dem ersten Zuge war die Stadt
Jerusalem und das umliegende Land von den Christen erobert worden
und blieb auch fast hundert Jahre unter ihrer Herrschaft. Aber
zur Zeit, in welche die zuletzt erzählten Ereignisse fallen, ging Plötzlich
die Kunde durch Europa, daß das Reich Jerusalem von dem
mohammedanischen Sultan Saladin in Besitz genommen und die
Christen vertrieben waren. Die Könige von Frankreich und Eng¬
land rüsteten alsbald Heere zur Befreiung Jerusalems. Auch der
fromme Kaiser Friedrich wollte es an seiner Hilfe nicht fehlen lassen.
Auf dem weiten Wege nach dem heiligen Lande hatte sein Heer mit
den mannigfachsten Hindernissen zu kämpfen, mit Hunger, mit der
Hitze, mit der Beschwerlichkeit in tiefem Wüstensand zu waten und
mit feindlichen Angriffen in den fremden Ländern. Nicht mehr gar
weit vom Ziele mußte Friedrich gegen dieSeldschucken ein mehrtägiges
Treffen liefern. Als die Gefahr fo groß wurde, daß die Christen zu
weichen begannen, rief ihnen der Kaiser zu: „Was zögert ihr, was
jammert ihr! Christus gebietet, Christus siegt!" Und damit warf er
sein Roß im Kreise herum und jagte allen voran gegen die Feinde.
Dies stärkte wieder den Mut seiner Krieger und die Schlacht wurde ge¬
wonnen. Aber Jerusalem sollte der Kaiser nicht sehn. Als das
Heer den Fluß Seleph erreichte — nahe dem Kydnos, in welchem
viele Jahrhunderte vorher Alexander der Große sich eine gefährliche
Krankheit geholt hatte — war eine enge Brücke zu passieren. Der
Kaiser, trotz seiner 72 Jahre noch immer mutvoll und ungeduldig
sprengte mit dem Pserde in die Flut, um schneller das andere Ufer
zu erreichen. Doch mitten in dem kalten Flusse wurde er von einem
Schlagfluß betroffen. Er rief um Hilfe, wurde zwar von einem
Begleiter ergriffen und noch atmen!) ans User gebracht, aber bald
hauchte er feinen Geist aus.
Der alte Barbarossa ist nie ans dem Gedächtnis des deutschen
Volkes gewichen. Als später Friedrich II., auch ein Hohenstanfe
und ein wackerer Herrscher, gestorben war, bildete sich die Sage,
daß er nicht gestorben fei, sondern nur im Kyffhäuferberge weile,
wo sein greiser Bart durch den steinernen Tisch gewachsen und daß
er in besseren Zeiten noch einmal erscheinen und das rechte, echte
deutsche Kaisertum auss neue heraufführen werde. Doch diese Sage