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nicht die gewaltige Predigt Bernhard Rottmanns in der
Lambertikirche den Blinden die Augen geöffnet? Sind
nicht Johann Windmöller, Heinrich Redeker, Gerhard
Kippenbrock und viele andere einflußreiche Bürger der
Stadt eines Sinnes mit Euch? Und ist nicht besonders
Bernhard Knipperdolling, der Feind der Pfaffen und
Freund der Bürger, ganz auf der Seite der Unsern? Ich
verstehe Eure Worte nicht und bitte Euch, mich aufzu¬
klären über Eure Befürchtungen!"
Luther setzte den Becher, den er soeben zum Munde
führen wollte, wieder auf den Tisch, lehnte sich zurück in
seinen Sessel und sah dem Sprecher mit seinen hellen
braunen Augen starr ins Gesicht. „Was," sagte er, „Ihr
wißt es nicht, was in diesen Tagen in Münster geschehen
ist? Ihr wißt es nicht, daß schon lange ein Geist anti-
christlichen, wiedertäuferischen Sinnes in der Bürgerschaft
gespukt hat, daß im Hause desselben Rottmann, der einst
zuerst das Evangelium in der Stadt predigte, schändlicher
Mißbrauch getrieben wird mit dem hochheiligen Sakrament
der Taufe? Wie lange ist es denn, daß Ihr von Eurer
Vaterstadt abwesend seid?"
„Wir sind seit etwa sechs Wochen von dort fern,"
entgegnete Peter. „O Gott, sollte in dieser kurzen Zeit
doch nein, ich kann es nicht glauben, Ihr müßt
falsch berichtet sein, ehrwürdiger Vater!"
Wollte Gott, es wäre so, wie Ihr sagt," antwortete
Luther mit einem tiefen Seufzer. „Aber leider habe ich
Ursache, das Schlimmste zu glauben. Seht, ich habe
gewisse Nachrichten, daß von den Niederlanden her falsche
Propheten Einzug gehalten haben in Eure Stadt, daß
Rottmann und viele Eure Mitbürger sie mit Freuden
empfangen haben, und daß jetzt Zwiespalt ausgebrochen
ist unter denen, die es ehemals mit uns hielten. O ich
sehe mit Sorge in die Zukunft Eurer Vaterstadt! Bleibt
sie nicht treu dem wahren Evangelium, so wird die Zeit
kommen, wo Gott sie wiederum in die Hände der Papisten
giebt, weil sie nicht hat erkennen wollen, was zu ihrem
Frieden dient."