Vaterlandslieder. 31
13. Er hatte nur noch die Hand aufs Herz
In letztem Krampf gezwungen,
Draus seiner Sehnsucht Glück und Schmerz
Als letzter Strahl gesprungen.
14. Nun war sie ausgerungen die Qual
Und die Last vom Herzen genommen —
Und mir war's, als wär' es gut, einmal
Auch so zur Ruhe zu kommen.
15. Doch kam es nicht zur Ruh die Nacht,
Die schweigend und alleine
Zu seinen Häupten ich durchwacht
Im bleichen Mondenscheine.
16. Im Laubdach pfiff wie sonst der Wind,
Und er lag am alten Orte,
Nur waren seine Augen blind
Und waren verstummt seine Worte.
17. Ich aber sprach sie hin vor mich,
Als könnt' er sie noch hören,
Als könnt' von seinen Lippen ich
Antwort zurückbeschwören.
18. Ich fühlte, es war wie Fiebertraum —
Und plötzlich, lichtumschwommen,
Sah über den mondbeglänzten Raum
Sein Weib und sein Kind ich kommen.
19. Sie legte den Finger auf den Mund,
Und sie bückte sich über ihn, sachte
Ins Ohr mir flüsternd: „Er schläft so gesund!“
Und ihr freudiges Auge lachte.
20. „Er schläft so ruhig wie keiner umher,
Den wir da draußen trafen,
Denn mit dem Gedanken an uns ist er
Heut' abend eingeschlafen.“
21. Sie sprach's und nickte und verschwand,
Und mir selber fielen die Lider
Bleischwer herab — warm hielt seine Hand
Ich in der meinen wieder.
22. Da fuhr ich auf — der Tag kam gegraut
Durch unsere frostigen Lauben;
Und die Hand war wie Eis, und ich jammerte laut,
Und ich wollt' und ich konnt' es nicht glauben. —
Wendt, Sammlung deutscher Gedichte