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der Aufsicht des Staates. — 25. In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht
unentgeltlich erteilt. — 27. Jeder Preuße hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck
und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. — 34. Alle Preußen sind
wehrpflichtig.
ü. Von der Person und den Rechten des Königs. Art. 43. Die Person
des Königs ist unverletzlich. (Er ist daher keinem Menschen Rechenschaft schuldig, darf
darum auch wegen seiner Regierungshandluugen nicht zur Verantwortung gezogen
werden.) — 44. Die Minister des Königs sind verantwortlich. — 45. Dem Könige allein
steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt und entläßt die Minister. Er befiehlt
die Verkündigung der Gesetze. — 46. Der König führt den Oberbefehl über das Heer.
— 47. Der König besetzt alle Stellen im Heere sowie in den übrigen Zweigen des
Staatsdienstes. — 47. Der König hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu
schließen. — 49. Der König hat das Recht der Begnadigung und Strasminderuug.
III. Von der Volksvertretung. Die gesetzgebende Gewalt übt der König
gemeinschaftlich mit dem Landtage, d. h. der Volksvertretung, aus. Der Landtag be¬
steht aus zwei Kammern, aus dem Herrenhause und dem Hause der Abgeordneten. Das
Herrenhaus, die erste Kammer, besteht aus den erwachsenen königlichen Prinzen, den
früher regierenden Fürsten und Grafen, deren Gebiet jetzt zum preußischen Staate gehört,
den Vertretern des Großgrundbesitzes, ber. großen Städte und der Universitäten. Ihre
Mitgliedschaft ist entweder erblich (Prinzen, Fürsten, Grafen) oder gilt auf Lebenszeit.
Das Haus der Abgeordneten, die zweite Kammer, besteht ans 433 Mitgliedern,
welche vom Volke alle 5 Jahre (früher 3 Jahre) gewählt werden. Jeder Preuße, der
das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich im Vollbesitze der bürgerlichen Rechte befindet,
ist stimmberechtigter Urwähler. Durch die Urwähler werden erst Wahlmänner gewählt
(Urwahlen), welche dann zusammentreten und für ihren Bezirk einen Abgeordneten
wählen (mittelbare oder indirekte Wahl). Auf je 250 Einwohner kommt ein Wahlmann.
Jeder unbescholtene Preuße von mindestens 30 Jahren ist zum Abgeordneten wählbar,
sofern er seit wenigstens einem Jahre preußischer Staatsbürger ist. — Zu jedem Gesetze
ist die Übereinstimmung des Königs und der beiden Kammern erforderlich. Ein Gesetz
tritt erst dann in Kraft, wenn es von dem Abgeordnetenhause und dem Herrenhause an¬
genommen und vom Könige bestätigt und verkündigt ist. Nicht nur vom Könige, son¬
dern auch von beiden Kammern können neue Gesetze vorgeschlagen uub beantragt werden.
In ben Händen ber Volksvertretung liegt also bie gesetzgebenbe, in ben Hänben bes
Königs bie vollziehend Gewalt. — Die wichtigsten Rechte ber Volksvertretung ftnb:
1. Der Volksvertretung muß jebes Jahr ein Entwurf ber Staatseinnahmen unb Staats¬
ausgaben vorgelegt unb von ihr bestätigt werben, ehe er in Kraft tritt. 2. Neue Steuern
dürfen nur mit Zustimmung ber Volksvertretung eingeführt werden. 3. Auch bei Staats¬
anleihen ist die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich. 4. Beide Kammern
können von den Ministern Rechenschaft über ihre Amtshandlungen verlangen. 5. Beide
Kammern wirken bei der Gesetzgebung mit. 6. Beide Kammern tagen gleichzeitig
in Berlin.
So erhielt also durch die Verfassung auch das preußische Volk seinen Anteil an
ber Staatsregierung.
3. Versuche zur Neugestaltung Deutschlands. Neben dem Wunsche nach
größerer Freiheit war in jenem tollen Jahre 1848 die Sehnsucht aller
wahren Deutschen aus größere Einheit gerichtet; man wollte ein einiges,
starkes Deutschland. Wie für jeden Einzelstaat eine Volksvertretung, so wurde
für den ganzen deutschen Bund eine einheitliche Regierung gefordert. Der
bisherige Staatenbund sollte also in einen Bundesstaat verwandelt werden.
Während daher 1848 in Berlin die erste preußische Nationalversammlung
tagte, hatten sich Abgeordnete des ganzen deutschen Volkes in Frankfurt a. M.
versammelt, um über eine Neugestaltung Deutschlands zu beraten und eine
gemeinsame Verfassung für ganz Deutschland aufzustellen. Diese deutsche
Nationalversammlung wollte den Bundestag beseitigen nnd Deutschland
wieder in ein Kaiserreich verwandeln. Es entstand daher die Frage, ob Öster¬
reich oder Preußen die Kaiserwürde erhalten sollte. Die meisten Abgeordneten