46
3. Tief in den Mantel greift er ein,
Der seine Schultern weit umschlingt,
Und streuet aus die volle Saat,
Die nimmer doch Gedeihen bringt.
4. Denn nimmer sprosset ihr der Keim,
Nie treibt den Halm sie himmelan,
Das warme Leben flieht, wo sie
Umhergestreut der Säemaun.
30. Der Löwe und der Hase.
Ein Löwe würdigte einen drolligen Hasen seiner näheren
Bekanntschaft. „Aber ist es denn wahr,“ fragte ihn einst der
Hase, „dass euch Löwen ein elender krähender Hahn so leicht
verjagen kann?“
„Allerdings ist es wahr,“ antwortete der Löwe, „und es ist
eine allgemeine Anmerkung, dass wir grossen Tiere durchgängig
eine gewisse kleine Schwachheit an uns haben. So wirst du,
zum Exempel, von dem Elefanten gehört haben, dass ihm das
Grunzen eines Schweines Schauder und Entsetzen erweckt.“ —
„Wahrhaftig?“ unterbrach ihn der Hase. „da, nun begreif
ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden
fürchten.“ Gotthold Ephraim Leasing.
31. Gestrafte Ungenttgfamkeit.
Es ist nun schon lange her, wohl viele hundert Jahre, da lebte
ein Fischer mit seiner Frau, der hieß Dudeldee. Sie waren aber so
arm, daß sie in einer bretternen Hütte wohnten und statt der Fenster
sich der Astlöcher bedienten. Dudeldee war aber doch zufrieden; seine
Frau dagegen war nicht zufrieden. Sie wünschte sich bald dies, bald
jenes und quälte immer ihren Mann, weil er ihr's nicht geben konnte.
Dann schwieg aber Dudeldee gewöhnlich und dachte bei sich: „Wär' ich
nur reich, oder wär' nur alles gleich da, wie ich's wünsche!"
Einmal abends stand er mit seiner Frau vor der Hausthür, und
sie sahen umher in der Nachbarschaft. Da standen etliche schöne Bauer¬
häuser. Da sagte seine Frau zu ihm: „Ja, wenn wir nur so eine
Hütte hätten wie das schlechteste unter diesen Nachbarhäusern! Wir
könnten wohl noch dazu kommen; aber du bist faul, du arbeitest nicht
wie andere Leute."
Aber Dudeldee fragte: „Wie, arbeite ich nicht wie andere Leute,
stehe ich nicht den ganzen Tag und fische?" — „Nein," antwortete seine