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Tiberius um das Tribunal. Sein Gesetzvorschlag, das Privat¬
vermögen des beerbten Königs Attalus von Pergamum (§ 39, 3)
dem Volke zu überlassen, damit es sich ans dem neuen Landbesitz
einrichten könnte, sollte ihm die Wiederwahl sichern. Als man aber
zur Abstimmung schritt, drang P. Scipio Nasica mit einer Anzahl
Senatoren in die Volksversammlung. Es kan: zu einem Tumult, iu dem
Tiberius Gracchus mit dreihundert seiner Anhänger erschlagen wurde.
Auch nach dem Tode des Gracchus dauerte die Ackerverteilung fort,
obwohl der Senat sie zu hintertreiben suchte und so die Parteileiden-
fchstft fortwährend nährte. Von ihrer Heftigkeit giebt die Ermordung
des jüngeren Scipio Africanus, der ein Gegner der griechischen
Bewegung war, einen traurigen Beweis.
2. Die Erneuerung der Reformvorschläge nahm 9 Jahre nach
dem Tode des Tiberius sein jüngerer Bruder C. Sempronins
Gracchus auf, eine leidenschaftliche Natur mit hervorragenden Ta¬
lenten. Für das Jahr 123 zum Tribun gewählt, richtete Gracchus
seine Thätigkeit zuerst auf die Linderung der materiellen Not in den
untern Volksklassen. Er beantragte: ein Korngesetz, das dem Volke
bas nötige Getreide zn einem billigen Preise verschaffte (lex frumen-
taria), die Wiederaufnahme des Ackergesetzes und die damit zusam¬
menhängende Ansiedlung römischer Bürger außerhalb Italiens auf
karthagischem Gebiete (Kolonie Junonia).
Mit diesen Gesetzen begnügte sich Gracchus aber nicht, er suchte
zugleich die Gewalt der Dptimatenpartei dadurch zu vernichten, daß
er ihr die Stützen entzog, welche sie in den Rittern und in den
italischen Bundesgenossen besaß. Deshalb nahm er den Senatoren
das Richteramt und übertrug es auf die Ritter, die nun auf die
Seite des Volkes herübergezogen wurden. Die italischen Bundes¬
genossen wandten sich von den Optimalen ab, als C. Gracchus den
Antrag stellte, ihnen das römische Bürgerrecht zn erteilen. Der
Senat aber wußte das Vertrauen der Anhänger des Gracchus zu
erschüttern, dadurch, daß er einen andern Tribun, Livius Drusus,
veranlaßte, die von Gracchus dem Volke gemachten Versprechungen
noch zu überbieten, und daß er den Anträgen desselben, den neuen
Landbesitzern die Erbpacht zu erlassen und statt der wenigen über¬
seeischen Kolonieen, deren 12 in Italien zu gründen, die Genehmigung
erteilte. Die List des Senats gelang. Gajus hatte bald seine Po¬
pularität so weit eingebüßt, daß er zum drittenmale nicht wieder