VIII. Bilder aus der Naturkunde.
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Dieses besteht aus einer Unzahl von Gemächern verschiedener Größe,
alle durch Gänge miteinander verbunden und in verschiedene Stock¬
werke verteilt, einige tief unten in der Erde, andere in der Kuppel des
Gebäudes. Jeue sind bestimmt zur Aufnahme der Jugend bei kaltem
Wetter oder über Nacht, diese werden bei Tage gebraucht. Die aus dem
Fundament entnommene Erde wird mit Tannennadeln, Holzstückchen, zer¬
bissenen Grashalmen, auch Steinchen und andern Stoffen gemischt und
gibt dem luftigen Schlosse seinen Halt. Strahlenartig führen Gänge
von dem Innern nach außen, die Tore der volkreichen Stadt sind durch
aus- und ciugehende Bewohner fortwährend belebt, für Fremde aber
verschlossen durch die wachehaltenden „Stadtsoldaten". Bei Regenwetter
oder für die Nachtzeit Pflegen sie ihre Tore ebenfalls zu verschließen.
Die Arbeiter, verschieden an Größe, teilen sich in zwei Rassen:
Arbeiter, welche das zum Leben Nötige herbeischaffen, und die häuslichen
Wärterinnen, welche die inneren Familienangelegenheiten, besonders die
Erziehung und die Ernährung der Jugend besorgen. Ihnen fällt eine
ungeheuere, unablässige Beschäftigung zu, wenn man nach den fortwäh¬
renden Bewegungen um die Wiege urteilt. Fällt ein Regentropfen, scheint
ein Sonnenstrahl, so gibt es einen allgemeinen Aufstand, eine Umbettung
aller Kinder, und das mit unermüdlichem Eifer. Man sieht, wie die
Pflegerinnen die großen Kinder behutsam aufheben, welche soviel wiegen
wie sie selbst, und dieselben von Stockwerk zu Stockwerk bis zu der
erforderlichen Stelle tragen. Das ist jedoch nicht alles. Die Sorge der
Ernährung ist hier viel zusammengesetzter als bei den Bienen. Die klei¬
nen hirsekornartigen Eier müssen beleckt unb mit einer ernährenden
Feuchtigkeit versehen werden. Die Larven haben immer Hunger und
wollen in kurzer Zeit erwachsen sein. Die Puppe, welche sich einen Kokon
webt, würde nicht die Kraft haben, ihre Hülle zu durchbrechen, wenn
nicht die aufmerksamen Wärterinnen da wären, die aus die Zuckungen
im Innern achten und mit ihren Fühlern untersuchen, ob der geeignete
Zeitpunkt gekommen sei, die Schale zu öffnen und dem kleinen Schütz¬
ling das Auskriechen zu erleichtern. Beiläufig gesagt, reichen 23 Tage
hin, alle diese Stufen zu durchlaufen. Jetzt, sollte man meinen, wäre der
junge Staatsbürger weiterer Nachhilfe nicht mehr bedürftig, befähigt, sich
selbst fortzuhelfen und die angeborenen Talente zu üben. Dem ist aber
nicht so, er ist noch ein Kind und wird als solches betrachtet. Man
schafft alle Neugeborenen an einen Punkt der Stadt, wo man ihnen
zunächst das unablässige Bedürfnis der Nahrung am sichersten befriedigen
kann. Wehe dem, der im Gefühl seiner eben gewonnenen Kraft vorwitzig
seinen eigenen Gang gehen wollte; die sorgsame Tante läßt nicht eher
nach, und hilft ihr nicht Güte, braucht sie Gewalt, um den jungen Welt¬
bürger für ihre Anordnung geneigt zu machen. Erst wenn die ganze