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hebt plötzlich der Herr vom Hause seine Stimme und bittet eine Dame — 
aus Höflichkeit die fremde zuerst — um die Erlaubniß, ein Glas Wein 
mit ihr zu trinken, und zu bestimmen, ob sie weißen Lissaboner oder rothen 
Portwein vorziehe. Denn die französischen, sowie die Rheinweine kom¬ 
men erst zum Nachtisch. Verlegen trifft man die Wahl und mit lauter 
Stimme wird nun dem Bedienten befohlen, zwei Gläser Wein von der 
bestimmten Sorte zu bringen; die übrigen Gäste sehen schweigend der 
Verhandlung zu. Zierlich sich gegen einander verneigend, sprechen die bei¬ 
den handelnden Personen wie im Chor: „Sir, Ihre gute Gesundheit — 
Madame, Ihre gute Gesundheit!" trinken die Gläser aus und geben sie 
weg. Nach einer kleinen Weile tönt dieselbe Aufforderung von einer an¬ 
dern Stimme, dieselbe Ceremonie wird wiederholt, und immer wiederholt, 
bis jeder Herr mit jeder Dame, und jede Dame mit jedem Herrn wenig¬ 
stens einmal die Reihe durchgemacht hat. Keine kleine Aufgabe für Die, 
welche des starken Weins ungewohnt sind. Abschlagen darf man es Nie¬ 
mandem, das wäre beleidigend; obendrein muß man noch mit dem ersten 
Glase den Wunsch für die Gesundheit jeder einzelnen Person an der Tafel 
wenigstens durch ein Kopfnicken andeuten und auch genau Acht geben, ob 
Jemand der andern Gäste uns diese Ehre erzeigt. Es wäre die höchste 
Unschicklichkeit, wenn eine Dame unaufgefordert trinken wollte; sie muß 
warten, wäre sie auch noch so durstig; doch bleibt die Aufforderung selten 
lange aus. Auch die Herren müssen sich zu jedem Glase einen Gehülfen 
einladen; ein Dritter hat aber die Erlaubniß, sich mit anzuschließen, wenn 
er vorher geziemend darum anhält. 
So hat man denn mit Antworten auf die Einladungen zum Essen 
und Trinken, mit Gesundheittrinken und mit Achtgeben, ob Niemand die 
unsere trinkt, vollauf zu thun. Kein interessantes Tischgespräch kann auf- 
kommen, es wird sogar für unschicklich gehalten, wenn Jemand den Ver¬ 
such macht, eins aufzubringen; der Herr des Hauses fährt gleich mit der 
Bemerkung dazwischen: „Sir, Sie verlieren Ihr Mittagsessen; nach Tische 
wollen wir das abhandeln!" Die Damen sprechen ohnehin nur das Noth- 
wendigste aus lauter Bescheidenheit. Die Fremden können sich nicht genug 
vor zu großer Lebhaftigkeit des Gesprächs hüten; es gehört hier gar nicht 
viel dazu, um für ungeheuer dreist — monstrous bold — zu gelten. 
Ist der erste beschwerliche Akt des Essens überstanden, so wird der 
Tisch geleert, die Brodkrumen sorgfältig vom Tisch abgekehrt, und es er¬ 
scheinen verschiedene Arten von Käse, Butter, Radieschen und wieder Salat, 
letzterer wird ohne alle Zubereitung, blos mit Salz zum Käse gegessen. 
Dieser Zwischenakt dauert nicht lange; er macht einem zweiten Platz. 
Jeder Gast bekommt nun ein kleines, schön geschliffenes Krystallbecken voll 
Wasser zum Spülen der Zähne und Händewaschen und eine kleine Serviette. 
Man verfährt damit, als wäre man für sich allein zu Hause. Die ganze 
so versammelte Tischgesellschaft erinnert uns oft an einen Kreis Tritonen, 
wie man sie Wasser speiend um Fontainen sitzen sieht. Die Damen er- 
Grube, Geogr. Charakterbilder. I. 14. Aufl. 21
	        
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