Full text: [Teil 4 = [Kl. 6], [Schülerband]] (4. Teil = 6. Klasse, [Schülerband])

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Zu der Zeit war aber deren Haupt Gödeke Michels, ein tapferer, ge¬ 
waltiger Mann und guter Leute Kind, über dessen Heimat sich Holstein, 
Mecklenburg, Pommern und Rügen streiten. Der nahm den neuen Genossen 
mit Freuden an, und nachdem er Proben seiner Kraft und seiner Un¬ 
erschrockenheit und Tapferkeit gesehen, übergab er ihm gleich ein Schiff 
und teilte sogar später mit ihm den Oberbefehl über die ganze Ver¬ 
brüderung. Weil nun der neue Genosse, der seinen adligen Namen 
abgelegt, so ganz unmenschlich trinken konnte, daß er die vollen Becher 
immer in einem Zuge hinunterzustürzen vermochte und dies Becherstürzen 
täglich unzählige Male wiederholte, so nannte man ihn Störtebeker. 
Machte Störtebeker Gefangene, die ein Lösegeld versprachen, so ließ er sie 
leben. Waren sie aber arme Teufel und alt und schwächlich dazu, so wurden 
sie gleich ohne weiteres über Bord geworfen. Erschienen sie ihm jedoch tüchtig 
und brauchbar, so machte er erst eine Probe mit ihnen. Wenn sie nämlich 
seinen ungeheuren Mundbecher voll Wein in einem Zuge leeren konnten, 
dann waren sie seine Leute, und er nahm sie als Gesellen an; vermochten 
sie das nicht, dann wurden sie ebenfalls abgetan. Man sagt aber, nur ein 
einziger Mensch, ein Junker Sissinga aus Groningen, habe diese Probe be¬ 
standen. 
Als die Raubgesellen einstmals die Nordsee rein ausgeplündert hatten, 
fuhren sie nach Spanien, um dort ihr Wesen zu treiben. Störtebeker und 
Gödeke machten wie immer gleiche Teile der Beute mit ihren Genossen; nur 
die Reliquien des heiligen Vincentius, die sie aus einer Kirche genommen, 
behielten sie für sich und trugen sie seitdem unter ihrem Wams auf der bloßen 
Brust. Daher kam es, daß sie hieb- und schußfest wurden; kein Schwert und 
Dolch, keine Armbrust und Büchse hat sie je verwunden, geschweige denn töten 
können; so ging die Sage. 
Störtebeker und Gödeke Michels haben auch zuweilen Reue über ihr 
Leben gefühlt, und deshalb soll jeder von ihnen dem Dom zu Verden 
sieben Fenster zur Abbüßung seiner sieben Todsünden geschenkt haben; das 
Störtebekersche Wahrzeichen, zwei umgestürzte Becher, ist in einem dieser 
Fenster angebracht. Auch Brotspenden an dortige Arme haben sie ge¬ 
stiftet, und daraus schließen manche, daß beide Verdener Landeskinder ge¬ 
wesen seien. 
Wiederholt rüstete die Hansa Flotten aus, um die Vitalienbrüder zu 
vernichten; doch wollte es lange Zeit nicht gelingen, Störtebekers habhaft zu 
werden; endlich aber fiel dieser seinen Feinden in die Hände. 
Er war wieder nach Spanien gesegelt; da jedoch die Beute hier nicht 
besonders groß gewesen war, so hatte er es vorgezogen, nach der Elbmündung 
zurückzukehren und hier mit den übrigen Vitalienbrüdern auf die Hamburger 
Englandfahrer zu lauern. Diese hatten indes hiervon Wind erhalten und 
stachen in Begleitung von Kriegsschiffen in See. Das hatte Störtebeker 
nicht vermutet; denn er war ruhig bei der Insel Neuwerk vor Anker
	        
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