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fern, die frühzeitig an Altersschwäche leiden. Der jetzt wieder fertig ge¬ 
wordene Winterpalast ist das frappanteste Beispiel davon. Es wurden 
binnen Jahresfrist nicht weniger als 20 Millionen Rubel darin verbaut! 
Man setzte den Bau im Winter fort, indem man das ganze Gebäude 
beständig heizte, um die Materialien flüssig zu erhalten und die Wände 
schnell trocknen zu lassen. Mit den meisten Privatgebäuden der Großen 
ist es ein ähnlicher Fall. Alles wird so schnell zusammengenagelt, wie 
Theaterdeeorationen. 
Bei der Leichtigkeit, mit der die Russen sich zu Veränderungen ent¬ 
schließen, wird man es natürlich finden, daß in Petersburg viel gebaut 
und umgebaut wird. Es ist fast nie ein Haus völlig fertig, und bestän¬ 
dig wird an ihm bald hier, bald da etwas geflickt und geändert. Ein 
einziges Fest, ein Ball, ein Diner bringt oft nicht unbedeutende Ver¬ 
änderungen im Innern eines Hauses zuwege. Findet man die Suite der 
Zimmer zu klein, so bricht man eine Mauer durch, zieht das folgende 
Zimmer hinzu und läßt Thüren für den Abend einsetzen. Säulen und 
Balustraden werden zur Ausschmückung und für die Musik errichtet, Lau¬ 
ben, Stubengärten, Buffets arrangirt, Zimmer für den Augenblick mit 
Tapeten behängen und mit Teppichen belegt, ja oft, um noch Zimmer¬ 
raum zu gewinnen, wird ein vorläufiges hölzernes Zimmer über den 
Baleon hingebaut, der als hübsch ausgeschmücktes Cabinet oder als Sitz 
der Musiker mit zum Tanzsaal gezogen wird. Es giebt gewiß kein einem 
Russen gehörendes Haus, das vierzehn Tage hindurch in demselben Zu¬ 
stande verbliebe. Die furchtbare Langeweile, die innere Unruhe und Lau¬ 
nenhaftigkeit lassen die vornehmen Leute nicht vierzehn Rächte hinter ein¬ 
ander in derselben Kammer schlafen. Bald ist diese, bald jene Stube der 
Herrin Schlafzimmer, bald empfängt sie in diesem, bald in jenem Salon, 
bald wird ihr Schlafzimmer das der Kinder, bald macht man die Schul¬ 
stube zum Ballsaal. Das Romadisiren steckt so tief in der Natur der 
Russen, daß sie im Laufe des Jahres nicht nur von einem Ende zum 
andern wandern, sondern auch noch im Verlauf einer Jahreszeit, wenig¬ 
stens in den verschiedenen Etagen ihres Hauses, auf und ab nomadisiren. 
Auch die Polizei flickt mit großer Veränderlichkeit an den Häusern. Bald 
verbietet sie diese oder jene Fensterform, bald gebietet sie, alle Thüren 
sollen von Eichenholz sein, bald erlaubt sie es, daß hier und da Erker 
und Vorbauten aus den Souterrains hervortauchen, bald läßt sie die¬ 
selben mit einem Male rasiren. 
Das Straßenpflaster ist in Petersburg, wie man aus dem über die 
Sumpfigkeit des Bodens Gesagten schon schließen kann, eines der theuer- 
sten, denn es bedarf beständiger Reparaturen, und doch dringt die Feuch¬ 
tigkeit überall durch. Auch verstehen sich die Russen auf das Pflastern 
schlecht, und man hat aus die bessern Straßen deutsche Pflasterer aus den 
Hansestädten berufen, die hier immer genug zu thun finden. Reben dem 
schlechtesten hat man aber auch das schönste Straßenvflaster, die herrlichsten
	        
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