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Das Gefolgswesen.
nähme an der Heerfahrt wird in der öffentlichen Versammlung versprochen; die Menge gibt
die Billigung des gefaßten Beschlusses kund, woraus auf ein Widerspruchsrecht der Land-
gemeinde geschlossen werden darf. Wer trotz des gegebenen Wortes die Heerfahrt versitzt,
gilt gleich einem Verräter und Überläufer als ehrlos. Das Verhältnis, welches zwischen
dem Führer und den geworbenen Gefährten entsteht, ist nur ein vorübergehendes, es schafft
zwischen ihnen keine dauernde persönliche Verbindung. Mit dem Ende der Unternehmung
ist das freie Vertragsverhältnis gelöst.
11. Einen andern Charakter hat das Gefolgswesen. Das Merkmal der Gefolgschaft
bildet die Aufnahme des Gefolgsmannes in die Hausgenossenschaft des Gefolgsherrn. Die
Gefolgsleute speisen und zechen und schlafen in der Halle ihres Herrn. Die Frau des Ge-
folgsherru soll wohl auch dafür sorgen, daß ihnen die zerrissenen Gewänder geflickt werden.
Ein freier Mann kann in die Hansgenossenschaft eines andern Freien aus verschiedenen Grün-
den eintreten. Später kommt es vor, daß Freie, um den Lebensunterhalt oder eine bessere
Lebensführung oder um ausreichenden Schutz zu gewinnen, mit Beibehaltung ihrer Freiheit
Hausdiener eines andern werden. Allein für das Gesellschaftsleben der germanischen Zeit
fiel diese Art von Gefolgschaft nicht ins Gewicht. Sehr beliebt war dagegen der Eintritt in
militärisch organisierte Gefolgschaften, welche eine höhere kriegerische Ausbildung und eine
intensivere kriegerische Beschäftigung gewährten, als sie der Dienst im Volksheere der kämpf-
luftigen Jugend gewährte. Diese Gefolgschaften sind es, die das germanische Heldenlied ver-
klärt. Nur Könige und Fürsten sind in der Lage, ein nennenswertes Gefolge dieser Art zu
hatten. Das war ein tatsächlicher Vorzug ihrer Stellung. Hauptsächlich die Jugend und
zwar die adlige Jugend drängte sich in den Gefolgsdienst. Der Jüngling kann schon an¬
läßlich der Wehrhaftmachnng in die Gefolgschaft aufgenommen werden. Dann ist es der
princeps, der ihn durch Überreichung von Waffen wehrhaft macht. Hochedle Geburt und
hervorragende Verdienste des Vaters machen junge Leute bereits in zarterem Alter der Auf¬
nahme in ein Gefolge teilhaft. Für sie ist die Zeit der Gefolgschaft zunächst Lehrzeit, nicht
Dienstzeit, das Haus des Gefolgsherrn zunächst Kadettenhaus. Das Verhältnis zwischen dem
Gefolgsherrn und den Gefolgsleuten fußt auf wechselseitiger Treue. In selbstloser Hingabe
an Heil und Ruhm des Herrn gipfeln die Pflichten der Gefolgsleute. Sie schwören einen
Eid, worin sie versprechen, den Herrn zu schützen und zu verteidigen. Im Frieden bilden
sie die Leibwache des Herrn, werden zn häuslichen Dieusten verwendet, die sich mit der Ehre
des freien Mannes vertragen; einzelne wurden wohl schon damals mit einem bestimmten
Hausamte betraut. Im Kriege kämpfen sie in der unmittelbaren Umgebung des Herrn. Es
gilt für schimpflich, sein Schicksal nicht zu teilen, ihn zu überleben, wenn er in der Schlacht
gefallen war. Der Herr ist seinerseits verpflichtet, den Gefolgsleuten Schutz und Ausrüstung
zu gewähren und ihnen jene kriegerische Beschäftigung zu verschaffen, deren Erwartung den
Eintritt in die Gefolgschaft veranlaßte. Die noch nicht völlig erwachsene Gesolgsjugend stand
unter der Familienmunt des Gefolgsherrn. Innerhalb des Kreises der Gesolgsgenosseu be-
stehen Grade und Rangverschiedenheiten, welche das Ermessen des Herrn bestimmt. Die Für-
sten wetteifern, ein möglichst zahlreiches und glänzendes Gefolge zn haben. Ein solches durch
längere Zeit zu erhalten, bedarf es kriegerischer Unternehmungen. Wenn daher der Friede
im Staate zu lange währt, läßt der Herr die Gefolgsleute an Kriegen auswärtiger Völker¬
schaften teilnehmen. Der Eintritt in ein Dienstgefolge schadet der vollen Freiheit nicht, führt
keine Schrnäleruug der rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung herbei. Das Verhältnis ist
kein lebenslängliches. Wie für den erwachsenen Sohn regelmäßig die Zeit kommt, da er aus
dem väterlichen Hause ausscheidet und sich einen eigenen Herd gründet, so pflegt auch der