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Das Hochgebirge der Alpen.
Man hat diesen Namen auch für andere hohe Gebirge auf der
Erde gewählt und spricht z. B. von australischen Alpen.
An die Schweizer und bayerischen Alpen (s. Bd. I), die
nach Deutschland hinüberschauen, setzen sich noch viele andere
Alpenzüge an, und viele Thäler ziehen sich zwischen diesen Irin,
in denen zahlreiche schöne Alpenflüsse, wie unser Rhein, wie Aare
und Reuss, dahiuströmen. Die meisten ergiessen sich gleich den
genannten am Rande der Alpen zuerst in blinkende Seen, ehe sie
nach allen Richtungen auseinander strömen, nach den verschiedensten
Ländern hin und den verschiedensten Meeren entgegen. In den
Alpenthälern wohnen vielerlei Völkerschaften von eigenartiger
Abstammung, Sprache und Sitte, und zahlreiche Staaten teilen sich
in den grossen Länderraum, den die Alpen einnehmen. Auf der
Karte von Europa sehen wir diese in ihrer ganzen Ausdehnung
dargestellt, wir erkennen die vielen Gebirgszüge und Thäler, aus
denen sie bestehen, und erhalten eine Vorstellung, wie sich der
Rumpf von Europa an das mächtige Hochgebirge, wie an einen
Rücken, anlehnt, und wie an den Rumpf des Erdteils sich wieder
die Aussenglieder desselben, die Halbinseln und Inseln, an¬
hängen. Beginnen wir deshalb die Erdkunde Europas mit
der Betrachtung seines Rückgrats, des Hochgebirges der
Alpen.
a. Die einzelnen Teile der Landschaft.
Die Alpen stellen keine gleichförmig gestaltete Erhebuugs-
masse dar. Wir dürfen annehmen, dass sie schon bei ihrer Auf¬
faltung einen grossen Formenreichtum entwickelten. Aber immer
herrlicher hat sich mit dem Fortschritte der Zerstörung diese ur¬
sprüngliche Formenschönheit entfaltet, und was die Alpen im Laufe
der Zeit an Höhe und Gewalt der Massen eingebüsst haben, das
haben sie gleichzeitig wieder gewonnen an Mannigfaltigkeit und
malerischer Wirkung ihrer Formen. Sie wurden immer glieder¬
reicher, zugleich eigenartiger, indem jedes Glied, entsprechend der
in ihm durch die Raumverhältnisse und durch die Gesteinsbeschaifen-
heit gegebenen Bedingungen, eine bestimmte Entwicklung seiner
Formen durchmachte. So tritt uns heute das Alpengebirge in
einem herrlichen Hochgebirgsbilde entgegen, das wir an¬
staunen und bewundern.
Dieses Hochgebirgsbild wollen wir in seinen einzelnen Zügen
betrachten. Wir werden hierbei zugleich Gelegenheit haben, einer¬
seits die gewaltigen Naturkräfte der Hochgebirgsnatur,
mit denen der Mensch den Kampf aufzunehmen hat, und ander¬
seits die Kultur hilfsmittel, die ihm dieselbe für diesen Kampf
darbietet, kennen zu lernen. Als ein zweifarbiges haben wir also
jedesmal das heutige Bild der Alpen zu betrachten, als ein eigen¬
artiges Natur- und als ein ebenso eigenartiges Kulturbild.