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3. „Siehst du die Brigg dort auf den
Wellen?
Sie steuert falsch, sie treibt herein
Und muß am Vorgebirg zerschellen,
Lenkt sie nicht augenblicklich ein.
Ich muß hinaus, daß ich sie leitel“
„Gehst du ins off'ne Wasser vor,
So legt dein Boot sich auf die Seite
Und richtet nimmer sich empor.“ —
„Allein ich sinke nicht vergebens,
Wenn sie mein letzter Ruf belehrt;
Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens
Ist wohl ein altes Leben wert.
Gib mir das Sprachrohr! — Schiff
lein, eilel
Es ist die letzte, höͤchste Not.“ —
Vor fliegendem Sturme, gleich dem
Pfeile,
Hin durch die Scharen eilt das Boot.
Jetzt schießt es aus dem Klippenrande.
„Links müßt ihr steuern!“ hallt ein
Schrei. — —
Kiel oben treibt das Boot zu Lande,
Und sichert fährt die Brigg vorbei.
L. Giesebrecht. (Der Normann“, gelürzt.)
11. Rede eines Handwerksmannes an seinen Sohn,
der in die Fremde wandert.
„Handwerk,“ sagt das Sprichwort, „hat goldenen Boden;“ aber
nicht jeder versteht, ihn zu legen. Das lerne! Vielen Handwerkern
fehlt Lust, Trieb und Geschick, ihr Gewerbe zu verbessern.
So was muß man in der Ferne suchen und lernen. Um mit
Nutzen zu reisen, muß du unterwegs nicht sehen, wovon du nicht
das Wie und Wozu erfährst. Wer anders reiset, ist nur wie im
Schlafe durch die Welt gelaufen und hat draußen grüne Bäume,
bunte Häuser und zweibeinige Menschen gesehen, was er daheim auch
findet. Ich habe Handwerksburschen gekannt, die von den größten
Städten nichis zu sagen wußten als das Wahrzeichen, z. B. von
Straßburg das große Münster. Wie man oft aus den Gesichtszügen
eines Menschen auf dessen Gemütsart schließen kann, so haben auch
Luͤnder und Städte ihre prophetischen Gesichtszüge. Dies sind die
eigentlichen Wahrzeichen, die jeder wandernde Handwerksbursche be—
obachten soll. Die helfen ihm auf die Spur, was er zu erwarten hat.
Findest du in einer Stadt viele Wirtshäuser, Wein-, Bier- oder
Schnapsschenken, so verlaß dich darauf, da gibt's viele lustige Gesellen,
aber am Zahltag betrübte Gesichter und selten häusliches Glück.
Hast nicht nötig, um die Ringmauern einer Stadt zu gehen oder
auf den Turm zu steigen, um zu wissen, wie groß sie sei. Sie ist
gewiß klein, wenn sich die Leute viel grüßen und abgegriffene Hüte
lragen. Wächst aber Gras in den Gassen, so gehe deines Weges; du
findest schwerlich bei einem Meister Arbeit, weil Handel und Wandel
tot liegen. Kommst du in ein Land, wo die Landstraßen nicht mit
Bettlern, aber mit Obstbäumen bepflanzt sind, wo Advokaten, Dok—