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eifrigen Schiffer ihr Wasser Schlag auf Schlag aufwühlten. Und obgleich es
ihre Landsseute waren, so war sie doch herzlich froh, als sie die Schiffer in die
reißende Aar abgesetzt hatte und wieder ungestört ihres Weges ziehen konnte.
Unterdessen guckte die Sonne über die Berge ins Tal und wunderte sich
nicht wenig, als sie auf der Aar ihre alten Bekannten, die Ratsherren von
Zürich, erblickte denen sie sonst im Bette guten Morgen zu sagen pflegte.
Und wer steht auch im Sommer früher auf als die Sonnes — , Was mag
die jagen?“ dachte sie; „indessen hab' ich ja noch einen guten Weg vor mir,
und ihr entgeht mir nicht.“ Indem sie so denkt und mittlerweile immer höher
steigt, sieht sie ihren Liebling, den Rhein; und wie seine gekräuselten Wellen
vor Freude glitzerten im Sonnenstrahl, da rauschte gerade das Schifflein hinein und
brauchte nicht mehr zu fürchten, daß es sich stieße an den Ufersteinen, denn da
konnten wohl zehn nebeneinander fahren und hatten Raum genug für ihre Ruder.
„Sei uns gegrüßt, du stolzer Rhein, und geleite uns!“ riefen die Schiffer;
die drei Trompeter stießen in ihre Trompeten, die zwei Trommler schlugen
einen kräftigen Wirbel, und der Pfeifer blies so laut und gellend drein, daß
die Rheinschwalben aufflogen und das Schifflein umkreisten.
Der Rhein aber, der ein gutes Gedächtnis hat, so alt er auch ist, merkte
gleich, was im Werke sei, kräuselte sich munter um die tanzenden Ruder, rufend
„Bravo, ihr wackern Eidgenossen, würdige Söhne eurer Väter!“ Und dann
schäumte er wieder hinten am Steuer und rief dem Steuermann zu: „Scharf
das Auge und fest die Hand! Schau',“ sprach er, „dort Laufenburg, da gilt's!
Der alte Bergmeister vom Jura will uns nicht durchlassen und schiebt einen
Damm von Klippen vor; aber nicht verzagt, ihr Männer!l Wenn's auch brüllt
und schäumt, ich führ' euch hindurch. Scharf das Auge, Steuermann, fest die
Hand! Gerad auf den mittleren Brückenbogen los. Regt die Ruder! Nicht um⸗
gesehen! Laßt sprühen und spritzen, was will! Schlagt ein, schlagt ein!
Hallol · ñ — Da schäumte der Rhein und brauste so laut wie Donner,
und hui, wie ein Blitz schoß das Schifflein den Fall hinunter. Aber der alle
Rhein freute sich, als er wieder freien Raum halte, uͤnd breitete seine Brust
mächtig aus, und auch den Männern wurde es frei um die Brust, daß sie
sagten: „Gottlob, die Gefahr ist überwunden! die Mühe ist noch übrig, und die
soll uns nicht verdrießen!“
Unterdessen war es in der alten Stadt Basel schon lange lebendig ge⸗
worden, und über die große Brücke mit ihren vierzehn Bogen zogen Reiter und
Fußgänger hinüber und herüber. Nun hatte eben die große Glocke auf dem
Münster zehn geschlagen, da standen sie alle plötzlich auf der Brücke still und
sahen den Rhein hinauf; denn da schwebte was her und wurde zusehends
größer und deutlicher, und wie es nahe kam, war's das Schiff von Zürich.
Aber die Baseler wußten's nicht und hatten auch nichts als das Nachsehen.
Denn ehe sie ihnen zurufen konnten, anzulegen und erst bei ihnen einen
Schoppen Wein zu trinken, schoß das Schiff wie ein Pfeil unter der Brücke
durch, und der Lellkönig, der eben die Zunge ausgestreckt hatte, erschrak so, er
hätte schier die Maulsperre bekommen.
Der Lellkönig, wer das ist? Das ist ein großer, schwarzer Kopf mit einer
Krone darauf; der guckt vom Baseler Brückenturm auf den Rhein hinunter,
und pünktlich jede Minute sperrt er's Maul auf und streckt eine lange, rote
Zunge heraus. Jetzt weißt du's, und wenn du auf dem Turnplatz die Kletter⸗
stange hinaufklimmst, so streck' nicht die Zunge heraus, damit sie dich nicht den
Lellkönig nennen!